Partizipation, aber nicht zu viel

ONLINE-VOTING Das Hamburger Thalia Theater lässt die Zuschauer darüber abstimmen, was inszeniert werden soll. Doch nun rudert der Intendant zurück und im Publikum kursieren Verschwörungstheorien

„Jede Wahl hat bestimmte Koordinaten“

JOACHIM LUX, INTENDANT THALIA-THEATER

Schwierig, aus der Sache so richtig schlau zu werden. Nein, „kein Marketinginstrument“, sagt der Intendant des Hamburger Thalia Theaters, Joachim Lux. Man wolle herausfinden, was die Zuschauer an seinem Haus gerne sehen würden. Deswegen können sie nun per Post oder E-Mail Stücke vorschlagen, die in der nächsten Spielzeit im Großen Haus inszeniert werden sollen. Die drei Erstplatzierten, so steht es in der Ankündigung des Theaters, werden aufgeführt – „versprochen“! Zudem werden die Dramaturgen einen besonders „originellen“ Vorschlag auswählen.

Zuschauerbindung und mitbestimmung, also eben jene Partizipation, die heute jeder fordert, der ein Publikum für sein Sachbuch oder seine Demo sucht. Doch die Sache hat ein paar Fallstricke: Derzeit steht auf Platz eins des eingefrorenen Zwischenergebnisses – das soll Gruppenabstimmungen erschweren – „Peers Heimkehr“, ein Transmedia-Projekt, das Theater und Computer-Apps sowie Metall-A-Capella-Musik verbinden soll. Auf Platz drei liegt mit 256 Stimmen „Die Erbsenfrau“ von Jens Nielsen, ein ebenfalls eher wenig prominentes Stück. Das lässt vermuten, dass, vorsichtig formuliert, Partikularinteressen eine gewisse Rolle gespielt haben. Diesen Fallstrick hat das Thalia aber vorausgesehen, zumindest hat es eine Erklärung veröffentlicht, wonach Demokratie und Manipulation nahe beieinander liegen.

Noch zweifelhafter wirkt eine andere Volte des Hauses, die mit eben jenem Außenseiter-Charakter der beiden Stücke zu tun haben mag: Intendant Lux rudert vorsichtig zurück. „Jede Wahl hat bestimmte Koordinaten“, sagt er nun und die am Thalia Theater müsse berücksichtigen, dass das Große Haus auf 1.000 Zuschauer angelegt sei. Eine Inszenierung, die gerade mal 50 Leute anlockte, könne man sich da nicht leisten. Das hätte vielleicht im Kleingedruckten stehen sollen. Aber auch so gibt es bereits Stimmen, die dem Theater Manipulation vorwerfen: Schuld ist der Bruder aus der Off-Szene, das freie Theater Kampnagel, das sich, so sagt es Intendantin Amelie Deuflhard, im Geist der Partizipation an der Abstimmung beteiligte. Man schrieb eine E-Mail an den US-Regisseur Robert Wilson, in der es heißt: „The Thalia Theatre in Hamburg is in a mess… Some unknown, supposedly bad writers with new media skills have activated all their friends to vote for their own plays and are now leading the election-list. Now the Thalia Theater has asked me to help them.“ Bob Wilson aber, dessen Inszenierung von „Black Rider“ 1990 am Thalia ein unglaublicher Erfolg war, erklärte sich postwendend bereit zu einer Neu-Inszenierung und Kampnagel rief in seinem Newsletter dazu auf, für „Black Rider“ am Thalia Theater abzustimmen. Mit Erfolg: Derzeit liegt das Stück mit 371 Stimmen auf Platz zwei.

Und gibt damit Verschwörungstheorien im Internet weiten Raum: Viele Kommentatoren auf Facebook glauben, dass es sich nicht um Ulk, sondern um eine Gefälligkeit von Theater zu Theater handelt, bei der Kampnagel dem Thalia Theater zu einer Inszenierung verhilft, die publikums und damit einnahmenträchtig ist. Das weisen beide jedoch deutlich zurück. „Wir hatten keinen Wunsch“, sagt Thalia-Intendant Lux. FRIEDERIKE GRÄFF