HEIMATABEND, HEIMATHAFEN, HEINZ ERHARDT
: Schneller Abgang

VON JENNI ZYLKA

AUSGEHEN UND RUMSTEHEN

Aus Zeitgründen mussten wir dieses Wochenende komplett in einen Abend stopfen, schnell schnell, Isabell, und wer früh ausgeht, ist früher lustig. Der erste Korken des Samstags knallte um fünf Uhr, dann Biowurst und Bier obendrauf, dann in DAGs Kreuzberger Galerie, zur Sammelshow von ungefähr 1.000 Berliner KünstlerInnen, deren Werke ölsardinengleich aneinandergedrängt im grell erleuchteten Raum hingen. Das erinnerte an eine Betriebsweihnachtsfeier: Da steht man auch oft dichtgedrängt, und ist doch ganz unterschiedlich.

Neben uns schoss jemand aus der Hüfte Fotos von AusstellungsbesucherInnenfüßen, mochte aber auf Nachfrage nicht zugeben, dass er Fußfetischist ist, sondern behauptete, er fände schlichtweg die Farbkombi (türkis/lila) gut. Dabei war er Österreicher, das sagt doch wohl alles. Im anderen Raum spielte eine sympathisch unartsy-unfartsy Punkband. Und die monochromen Bilder gefielen am besten. Es geht doch nichts über ein glänzendes Teerlungen-Schwarz.

Das ist ohnehin die Farbe der Nation: In Deutschland werden jedes Jahr fast drei Millionen Tonnen Bitumen verbraucht. Also von Straßenbauarbeitern, nicht von KünstlerInnen. Hätten wir Reifen gehabt, wir hätten danach, auf dem Weg zum „Heimatabend“ von Flux FM, extralaut auf dem Asphalt gequietscht. Leider waren wir aber per pedes, so wie der weise Archimedes im Gedicht von Heinz Erhardt: „Ja ja, der weise Archimedes, ging stets zu Fuß, fuhr nie Mercedes“. Doof (oder blau?) waren wir noch dazu: Wir verwechselten den Heimatabend mit dem Heimathafen, standen also verzweifelt an besagter Tür in Neukölln und suchten nach den Sternen, der Band selbstredend, nicht irgendwelchen neu entdeckten erdähnlichen. Sie spielten ja auch, im Festsaal Kreuzberg allerdings, denn dort feierte Flux FM.

Der gemeine Sterne-Fan ist eine treue Seele

Als wir das wachsende Kreuzkölln endlich durchkreuzt hatten, waren sie schon fast fertig, mussten aber glücklicherweise jede Menge Zugaben geben, der Sterne-Fan an sich ist ja eine treue Seele, und groovt gern mal bis in den Morgen hinein, egal ob alte oder neue Hits, egal ob das System gefickt wird oder die Leichen aus der Stadt der Reichen hinausgefegt werden.

Irgendwo auf dem Weg waren wir noch im Roadrunner’s Paradise eingekehrt, das fiel uns erst am nächsten Morgen ein. Da gab es am Samstag nämlich die 3. Barracuda Ballroom Night, mit einer Modenshow nichtmoderner Mode (so ist das in der Retrowelt), und der „outrageous hip shaking Garage Girl Group Rock-’n’-Roll-Band The Mentalettes“, die die Betonung auf hip shakin legten, sich von ein paar männlichen Beatniks an den Instrumenten begleiten ließen und hofften, es würde reichen, möglichst überzeugend Körper in all the right places zu schütteln und herumzuquietschen wie kleine Mädchen beim Robert-Pattinson-Besuch. Überzeugt hat es uns nicht, es war zwar nett, auf Dauer aber eher mau.

So leicht kriegt man uns auch wieder nicht. Wir haben unser Sympathiepulver für kreischende Unisono-Frauengruppen schon damals bei Thee Headcoatees komplett verschossen, der Band, die aus Holly Golightly und weiteren Freundinnen von Billy Childish’ Thee Headcoats bestand, große Klasse war und auch noch abging. Stichwort Abgang: Der ging wieder ganz schnell, weil der Sitter anrief. Hatte sich aber nur verwählt.

Aus Respekt wurde am Sonntag dennoch endlich einmal der echte Headcoat rausgeholt und über die schmerzende Birne gestülpt, rasch noch eine Lupe dazu und: Voilá Sherlock Humbug, der klügste Detektiv der Welt. Das waren noch Charaktere damals!