Maßgeschneiderte Miniatur-Artworld

GLAM I Nach intensiver Renovierung hat der legendäre Londoner The Arts Club seine Türen wieder geöffnet

Statt Brötchen serviert das Personal morgens Spezialitäten vom hauseigenen Zuckerbäcker

VON JULIA GROSSE

Frederic Lord Leighton, Dandy und weltreisender Künstler, war der Star des dekorwütigen neoklassizistischen Englands, ein Meister der edel verpackten Auflehnung gegen den hässlichen Materialismus, die moralische Enge und Altbackenheit der viktorianischen Welt. Als Leighton gemeinsam mit befreundeten Denkern 1863 den legendären Londoner The Arts Club gründete, wünschte er sich ein elegantes Séparée, eine intellektuelle Entspannungszone für die Londoner Kulturszene. Hier wurde gestritten, gesoffen, geplant und schwerer Pfeifenrauch in die noch schwereren Vorhänge getrieben.

Der stetig vergilbendere Charme des alten Kulturelitarimus zog zeitgenössische Künstler bis heute magisch an. Zuletzt erinnerten die Räume, in denen auch Charles Dickens diskutierte und feierte, eher an einen typisch englischen Arbeiterpub: dunkles Holz und zentimeterdicker Flauschteppich, auf dem man kaum anständig gehen konnte. Nun blitzt der edel gemusterte Marmorboden, und rauchen darf man natürlich auch längst nicht mehr. Nur noch auf der neuen Zigarrenterrasse.

Und doch wäre es ein wenig plump zu sagen, dass die angeblich 20 Millionen Pfund teure Renovierung des Londoner Arts Club die alte Avantgarde-Atmosphäre einfach überpinselt habe. Eher hat hier etwas anderes stattgefunden, nämlich das Bereitstellen einer perfekt funktionierenden Artworld-Klaviatur: So gibt es nicht einfach mehr nur ein Restaurant mit gutem Koch. Es wird geleitet von Topchefkoch Raphael Duntoye. Statt Brötchen serviert das Personal morgens Spezialitäten vom hauseigenen Zuckerbäcker. Beim Dekor beriet Gwyneth Paltrow, und damit man sich als Gast nach einem langen Arbeitstag unten im Club nicht einfach nur zu irgendwas auf der Tanzfläche bewegen muss, wurde Produzentenstar Mark Ronson als „Musikdirektor“ angeheuert.

Hotelzimmer in den oberen Etagen sind bereits in Planung. Draußen liegt einem die Dover Street wie ein Privatboulevard der Kunstwelt mit Sprüth Magers Galerie, Acne Boutique oder dem mehrstöckigen Comme des Garçons-Konzeptparadies direkt zu Füßen. „Wir haben viel Liebe gesteckt in die Frage, wie man einen Club gestalten kann, in dem wir gern sein würden.“ Diese Aussage sollte in einem Künstlerclub eigentlich von Künstlern kommen. Im renovierten Arts Club kommt sie von Gwyneth Paltrow.

Zwar sind unter den Mitgliedern natürlich nach wie vor Kreative oder Akademieprofessoren. Doch eben nicht mehr so viele: Wer an einem normalen Wochentag dort ist, wird in der Brasserie unter sechs gemalten Metern Albert Oehlen vor allem finanzstarke Männer in Anzug sitzen sehen, die keine Kunst produzieren, sondern lieber kaufen.

Für sie muss sich der Club anfühlen wie eine maßgeschneiderte Miniatur-Artworld, in der sich ihre Pflichten und Vorlieben perfekt konzentrieren: hochkarätige Küche, Financial Times lesen, am Laptop arbeiten, mit Kollegen Martinis kippen und über die neue Clubsammlung an den Wänden, von George Condo bis John Baldessari, plaudern. In einem Raum, der vom heimelig-kosmopoliten Flair her an ein Esszimmer schwerreicher Sammler erinnert, werden Ausstellungen gezeigt, derzeit die vom afrikanisch-amerikanischen Künstler und Documenta-13-Teilnehmer Theaster Gates.

Mit der Wiedereröffnung wird vor allem eines klar: Man sitzt im Soho House in Berlin, im Gramercy Luxushotelbunker in Manhattan, beim Dinner eines Supersammlers in London oder nun im neu renovierten Arts Club und erkennt plötzlich den Unterschied nicht mehr.

Das ästhetische Understatement, auf das man sich derzeit überall einigt, ist eine angenehm verdauliche Kombination aus den üblichen Verdächtigen an den Wänden (George Condo, Richard Prince, Basquiat) inmitten einer coolen Pseudo-Moderne-Landschaft aus zentnerschweren Art-déco-Lüstern, Schachbrett-Marmorboden, Chesterfield-Sofas und Nierentischen. Selbst den Inszenierungen in den Badezimmern liegen aufwendig-konzeptuelle Entscheidungen zugrunde, mit Flüssigseifen und berauschenden Duftkerzen von Diptyque, Cowshed und Co. wie Elixiere des sorgenfreien Sammlerlebens. Leighton und seine Zeitgenossen waren damals vielleicht elitäre Dandies mit Freude an Schönheit. Doch ein dermaßen nahtloses Kunstwelt-Wohlfühlprogramm wird selbst ihnen damals nicht vorgeschwebt haben.

Die aktuelle Beitrittsgebühr von 1.000 Pfund plus weiteren 1.000 Pfund pro Jahr sind nicht einmal besonders überhöht innerhalb der Privatclublandschaft. Im Soho House Berlin zahlt man als Mitglied 900 Euro. Nichtmitglieder dürfen sich derweil in der kalten Eingangshalle aufhalten und einen Blick auf Damien Hirsts Amateurgrafitti eines weiteren seiner nervtötenden Haie werfen. Nicht so im Londoner Arts Club. Hier herrscht an zwei Tagen in der Woche fast drei Stunden lang Philanthropie pur! Mittwochs und samstags dürfen Menschen ohne Mitgliedschaft von 9 bis 12 Uhr die Räume betreten, vor einem George Condo für eine Viertelmillion Dollar sitzen und sich an 50 Gramm Kaviar à 300 Euro satt essen.