Gold und Wasser

KOLUMBUS „Und dann der Regen“ von Icíar Bollaín erzählt die Geschichte der historischen Eroberung Amerikas als Film-im-Film vor dem Hintergrund eines aktuellen Konfliktes in Bolivien

VON GASTON KIRSCHE

Sie fahren über eine Sandpiste durch den bolivianischen Tieflanddschungel zu einem Drehort: Der junge Regisseur Sebastián (Gael García Bernal) und der Filmproduzent Costa (Luis Tosar), begleitet von Maria, die mit einer Digicam die Produktionsvorbereitungen dokumentiert. Sie sind froh, dass es endlich losgeht mit dem Film, scherzen: Da drehen wir hier mitten in Bolivien zwischen den Anden einen Film über die ersten Jahre von Kolumbus in Amerika – die Karibik ist das hier aber nicht, meint Sebastián mit Blick aus dem Autofenster.

Aber die Bedingungen sind hier ideal, wirft Costa ein, hier sind die Leute so arm und die Statisten so billig wie sonst nicht. Und Indianer gibt es jede Menge … Als Maria einwirft, dass die in Bolivien lebenden Quechua eine komplett andere Sprache sprechen als die Tainos, bei denen Kolumbus gelandet ist, bügelt Costa sie ab: Ach was, Indio ist Indio, die sind doch alle gleich. Sebastián formt mit zwei Fingern eine Schere, signalisiert Maria: „Das schneidest Du raus, was Costa über die Indios sagt.“

Der historische Stoff entwickelt durch den Kunstgriff des Filmes-im-Film ein Eigenleben in der Jetztzeit. Nicht nur, weil die Grausamkeit und Rigorosität, mit der die Konquistadoren mit Schwert und Christenkreuz die vorhandene Bevölkerung unter ihre Herrschaft zwingen ebenso glaubhaft wie anschaulich nach inszeniert werden. Sondern auch, weil die Schauspieler und das Team auch am Feierabend weiter in ihren Rollen zu denken scheinen. Dabei ist es spannend zu sehen, wie die Regisseurin Icíar Bollaín und vor allem der Drehbuchautor Paul Laverty es schaffen, Sequenzen aus historischen Originaltexten in die Handlung einzuflechten.

Durch das Casting kommt das heutige Bolivien mit ins Spiel, die zweite Handlungsebene des Filmes: Hunderte melden sich auf einen Aufruf für den Film. Costa will nur schnell einige herauspicken. Als sich in der Menschenschlange Protest dagegen regt, einfach so wieder weggeschickt zu werden, lässt sich Sebastián überreden, doch allen eine Chance zu geben. Costa rollt mit den Augen und ärgert sich besonders über Daniel (Juan Carlos Aduviri). Der hat aus der Menge heraus den Protest organisiert. Sebastián und das Castingteam wählen ihn für eine Hauptrolle aus: Er spielt Hatuey, einen Häuptling der Tainos, der den Widerstand gegen die Konquistadoren anführt. Aber während die Dreharbeiten anlaufen, spitzt sich in der nahegelegenen Stadt Cochabamba der Konflikt um die Trinkwasserversorgung zu. Daniel wird als einer der Anführer von der Polizei verprügelt – das droht den Dreh zu gefährden.

Der Film spielt 2001 und erzählt von einem realen Konflikt: Die Regierung Hugo Banzers folgt dem gleichen Wirtschaftsmodell wie Kolumbus. Die gewinnbringende Ausbeutung der Naturressourcen und der Indigenen zielt 500 Jahre später aber nicht mehr auf die lange geplünderten großen Edelmetallvorkommen Boliviens, sondern – auf das Trinkwasser. Der multinationale Konzern Bechtel kauft die Wasserwerke auf und hebt die Tarife sogleich um 300% an. Die Brunnen in den Armenvierteln werden gesperrt: und auch der Regen. Im Film bricht der Aufstand während der Dreharbeiten los, der in Bolivien als der „Wasserkrieg“ bekannt ist. 5.000 Statisten wirkten mit, um nachzustellen, wie Armee und Polizei nach tagelangen Kämpfen vor der Übermacht der mit dem Mut der Verzweiflung um ihre Lebensgrundlage kämpfenden Armen zurückwichen.

Dadurch gerät der Drehplan durcheinander: Wo bleiben meine Indigenen, ruft Sebastián am Set. Vor ihm stehen 13 große Holzkreuze auf Scheiterhaufen. Später sind sie da: An die 13 Kreuze gefesselt, stehen in voller Indianermontur, geschminkt, mit Federn geschmückt 13 Männer. Im Abstand dazu eine Menschenmenge Indigene, zusammengetrieben von bewaffneten Konquistadoren. Sie sollen der Bestrafung beiwohnen – zur Abschreckung. Aber als ein Priester mit seinem Gebetskreuz vor Hatuey steht, schlägt ihm dieser das Kreuz mit dem Fuß aus der Hand, spuckt auf dessen Bibel und ruft: „Wenn die Christen in den Himmel kommen, will ich in die Hölle, weg von euch!“ Die Menge skandiert: „Hatuey, Hatuey!“, während er und seine Mitkämpfer lebendig verbrannt werden. Als die Szene im Kasten ist, ruft Sebastián, der Regisseur im Film: „Cut!“

Da tauchen Polizisten auf – sie wollen Daniel, der noch als Hatuey kostümiert ist, verhaften. Die Menschenmenge, die eben noch Indios zu Kolumbuszeiten waren, verwandeln sich in BürgerInnen, welche die heutigen Polizisten an der Verhaftung hindern, das Polizeiauto demolieren und umkippen. Erst hier hat die reale Regisseurin die beindruckende Szene beendet. Ein packender Film, der gerade in seiner Komplexität ebenso spannend wie aufwühlend ist. Alles, was gezeigt wird, kann so gewesen sein.