Die Freundschaft der Antipoden

BUDDIES-1 In „Chinese zum Mitnehmen“ von Sebastian Borenzstein muss ein Eigenbrötler in Buenos Aires sich plötzlich um einen verlorenen Chinesen kümmern

Die Geschichte von zwei konträren Charakteren, die sich zusammenraufen müssen und Freunde werden, wird immer wieder gerne erzählt

VON WILFRIED HIPPEN

Was kümmert es mich, wenn in China ein Sack Reis umfällt? Diese uralte Floskel ist heutzutage nicht mehr relevant und längst durch den inzwischen ebenso ausgeleierten Allgemeinplatz vom chaos-theoretischen „Flügelschlag eines Schmetterlings“ abgelöst. In der argentinischen Komödie „Un Cuento Chino“ passiert etwas in China, das dann in Buenos Aires ein kleines persönliches Drama in Gang setzt. Tatsächlich beginnt der Film im Stil einer asiatische Romanze mit einem jungen chinesischen Paar, ganz alleine auf einem See in einem Boot. Er will sie gerade bitten, seine Frau zu werden, und dann fällt ihnen der Himmel auf den Kopf. Was genau geschieht, wird im Film so effektiv und komisch in Szene gesetzt, dass man die Wirkung dieser Sequenz nicht dadurch schmälern sollte, dass man vorher zu viel erzählt. Tatsächlich basiert es auf einer der bizarren wahren Begebenheiten, die sich in den vermischten Nachrichten finden, und die kein Drehbuchautor wagen würde, zu erfinden, weil sie schlicht zu unglaubwürdig ist.

Am anderen Ende der so ausgelösten Kausalkette findet sich der gleiche Chinese einige Zeit später auf der anderen Seite der Erde wieder. In Buenos Aires wird der junge Mann ausgeraubt aus einem Taxi geworfen, und er landet direkt vor den Füssen von Roberto. Dieser ist ein Eigenbrötler, der einen Eisenwarenladen führt und so pedantisch ist, dass er die Schrauben in jeder Packung durchzählt und sich beim Hersteller darüber beschwert, dass immer mindestens eine fehlt. So ist es eher sein Ordnungssinn als Mitgefühl, dass ihn dazu bringt, den Chinesen mitzunehmen, und dieser kotzt im auch prompt in sein Auto. Von da an versucht der Argentinier, sein erwachsenes Findelkind wieder loszuwerden, aber da dieser total hilflos ist und kein Wort spanisch spricht, wäre es schlicht zu unordentlich, ihn wieder auszusetzen. Die Polizei würde ihn in eine Zelle stecken und das chinesische Konsulat hat nicht genügend Leute, um sich um diesen Landesmann zu kümmern (die Ironie von „zu wenig Chinesen“ bleibt Roberto nicht verborgen). Und so kümmert sich der Argentinier zuerst ziemlich schroff und widerwillig um Jun, der nach Argentinien gekommen ist, um dort einen entfernten Onkel zu finden.

Die Geschichte von zwei möglichst konträren Charakteren, die sich zusammenraufen müssen und schließlich zu Freunden werden, wird im Kino immer wieder gerne erzählt. „Chinese zum Mitnehmen“ ist solch ein „buddy movie“ ad extremum. Einen größeren Kontrast als den zwischen diesem beiden Figuren hätte Borenzstein kaum finden können. Sie haben nicht einmal eine gemeinsame Sprache, in der sie sich verständigen können und der Regisseur verstärkt diese Wirkung noch dadurch, dass er die auf chinesisch gesprochenen Passagen des Films nicht untertiteln ließ. Wie die beiden sich dennoch immer besser verstehen, und wie der Misanthropen Roberto langsam aus seiner emotionalen Versteinerung erwacht, kann Borenzstein auch deswegen so einfühlsam und originell erzählen, weil mit Ricardo Darin einer der charismatischsten Schauspieler Lateinamerikas die Hauptrolle spielt. Dieser war im letzten Jahr schon durch seine Rolle als Untersuchungsrichter in dem oscarprämierten „In ihren Augen“ international bekannt geworden. Und auch hier zeigt er wieder, wie er mit vielen Nuancen, vor allem aber seinem Blick einen eher widerborstigen Charakter auf der Leinwand liebenswert erscheinen lassen kann, ohne dabei je direkt um Sympathie buhlen zu müssen. Durch ihn wurde der Film zu einem der Publikumslieblinge auf internationalen Festivals im letzten Jahr. Und natürlich durch den Himmelssturz in der Volksrepublik China.