Träumender Täter

VORGESCHICHTE In seinem aktuellen Roman „Das weiße Land“ begibt sich Sherko Fatah auf die Spuren des Antisemitismus zwischen Irak und Deutschland

Es ist der unbedingte Wille „bemerkt zu werden“, im Leben voranzukommen, der den jungen Iraker Anwar in Sherko Fatahs Roman „Das weiße Land“ (Luchterhand, 480 S., 21,99 Euro) im Bagdad der 1930er immer mehr unter den Einfluss der faschistischen Jugendorganisation kommen lässt. Und es ist seine politische Unwissenheit und seine fehlende moralische Urteilsfähigkeit, die aus der ersehnten Reise in ferne Länder eine Flucht mit dem mit den Nazis verbündeten Großmufti von Jerusalem nach Berlin werden lassen. Immer mehr verliert Anwar sich in den Wirren des unverstandenen Krieges, kämpft mit den muslimischen Verbänden der Waffen-SS in Weißrussland und schlägt den Warschauer Aufstand nieder. Als Überlebender kehrt er schließlich zurück. Seine Unschuld und seine Träume aber hat er am Ende auf grausame Weise verloren.

Eindringlich begibt sich Fatah auf die Spuren des arabischen Antisemitismus im Nahen Osten, zeichnet seine Verquickung mit dem Antisemitismus des nationalsozialistischen Deutschlands nach und erzählt so die Vorgeschichte gegenwärtiger Konflikte. Und bebildert damit nicht zuletzt auch einen zentralen Aspekt der Geschichte des Faschismus: dass er seine Stärke aus dem brutalen Aufstiegswillen von Millionen kleinbürgerlicher Anwars bezogen hat, die im neuen System ihre Chance gewittert haben und schließlich zum Täter wurden. Ab Sonntag liest Sherko Fatah im Rahmen der „Literatour Nord“ aus „Das weiße Land“. MATT

■ Oldenburg: So, 8. 1., 11 Uhr, Wilhelm13, Wilhelmstraße 13; Bremen: So, 8. 1., 20 Uhr, Literaturcafé Ambiente, Osterdeich 69a; Lübeck: Mo, 9. 1., 20 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstraße 4; Lüneburg: Mi, 11. 1., 20 Uhr, Heinrich-Heine-Haus, Am Ochsenmarkt 1; Hannover: Do, 12. 1., 20.30 Uhr, Literaturhaus, Sophienstraße 2