WACHSENDE UNWISSENHEIT
: Fisch zum Essen

Er nahm die Tüte und fragte: „Was ist das?

Flüchtig nahm ich eine Stelltafel eines asiatischen Imbisses an der S-Bahn-Station Bellevue wahr. Etwas darauf irritierte mich und ließ mich zurücklaufen. Es war nicht die Sushi-Box im Angebot, die mein Interesse geweckt hatte. Es war das Gericht, das darunter angepriesen wurde. Gebackenes Seelachsfilet mit Gemüse. In Klammern stand dazu: Fisch. Ja, wo leben wir denn, dachte ich mit Grausen, dass man Seelachsfilet mit Fisch übersetzen muss? Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern und das Halteschild „Bellevue“ wird mit einem Klammerzusatz „Schöne Aussicht“ versehen.

Mir hatte eine Begebenheit in einem Supermarkt zu denken gegeben. Ich hatte Rote Beete gekauft, nicht die geschälten, gekochten und vakuumverpackten, sondern drei rohe Knollen aus Polen. An der Kasse saß ein junger Mann, dessen blasses Gesicht die Züge eines unwissenden Auszubildenden trug. Er nahm die Tüte mit den Knollen, hielt sie mit gebührendem Abstand in die Höhe und fragte verwundert: „Was ist das?“ Wahrheitsgemäß erwiderte ich: „Rote Beete.“ Der Scanner half dem Kassierer bei der Berechnung des Preises. Aber ich bin sicher, dass er bis heute nicht weiß, was Rote Beete ist.

Vielleicht holen sich junge Menschen wie er ihre Nahrung in Läden, die Namen tragen wie „Scoom“, von denen es einen am Alexanderplatz gibt. Vor dem Geschäft stand ein Regal mit Besteck, Servietten und einem kleinen Kübel mit Biomilch, um den ein Zettel hing. Darauf stand, dass die Milch aus „der gläsernen Molkerei in Münchehofe“ kommt.

Mit solchen Infos werden Menschen weiter in Unwissenheit gehalten. Immer weniger Menschen werden wissen, dass Milch aus dem Euter eines Tiers namens Kuh kommt, dass das Wintergemüse Rote Beete mit der Zuckerrübe und Mangold verwandt ist. Und dass man Fisch essen kann. BARBARA BOLLWAHN