Techtelmechtel mit dem Sparkommissar

DEUTSCH-GRIECHISCHES FREUNDSCHAFTSTREFFEN Die Neuköllner Oper servierte mit „Yasou Aida!“ eine Bearbeitung von Verdis Stoff als binationalen Cocktail, der es in sich hat und hart mit der EU ins Gericht geht

Zur Heimweh-Arie steht Elpida nicht am Nilufer, sondern an der Kaffeemaschine

VON KRISTINA RATH

Opernlibretti, sagte der Schriftsteller Reinhard Jirgl kürzlich in einem Interview, röchen immer ein bisschen nach Chemielabor, nach künstlich zusammengerührter Dramatik, und am Ende stürben immer die Frauen. Er selbst sei als Kind so mit Opern gequält worden, dass er sich erst jetzt langsam von diesem Trauma erhole.

Dass man mit ein paar radikalen Änderungen in der Zutatenliste aus einer Reagenzglasbrühe einen szenetauglichen Drink zaubern kann, beweist zurzeit Alexandros Efklidis mit einer Bearbeitung von Verdis „Aida“: Am Freitag hatte „Yasou Aida!“ in der Neuköllner Oper Premiere. Die alternierend in zwei Besetzungen gespielte deutsch-griechische Koproduktion, die im März auch in Thessaloniki zu sehen sein wird, trägt den Untertitel „Ein deutsch-griechisches Freundschaftstreffen“.

Wobei das mit der Freundschaft so eine Sache ist: Bei Verdi ist Aida eine äthiopische Sklavin, die sich in den Heerführer der ägyptischen Besatzungsmacht verliebt. Die Neuköllner Aida heißt bezeichnenderweise Elpida, Hoffnung. Trotz ihres Einserstudiums hat sie in ihrer griechischen Heimat keine Zukunft. Als Praktikantin der EZB in Frankfurt fängt sie ausgerechnet eine Affäre mit Rainer Mess an, dem Shootingstar unter den deutschen EU-Sparkommissaren.

Das trägt ihr den Hass ihrer Chefin ein, die ebenfalls ein Techtelmechtel mit Rainer hat und mit antigriechischen Vorurteilen auf Bild-Niveau nicht spart. Rainer sieht schließlich ein, dass die Sparmaßnahmen Griechenland nicht helfen werden. „Wenn die Medizin nicht wirkt, beschuldigt man nicht die Patienten“, konstatiert er – und schmeißt seinen Job. Die frei werdende Stelle bekommt Elpida.

Natürlich sind die Figuren operntypisch grob gezeichnet, werden aber durch die charismatischen DarstellerInnen lebendig. Außerdem, daran lässt der Text von Dimitri Dimopoulos keinen Zweifel, geht es hier nicht um Psychologisierung, sondern um das System: Die Inszenierung geht mit der EU hart ins Gericht. „Alle Seiten haben recht. Das ist eine Tragödie: Das ist Demokratie“, heißt es einmal, und an anderer Stelle: „Die Märkte sind nicht überzeugt, wenn kein Blut fließt.“

Da preisen zwar Politiker die kulturelle Vielfalt Europas, unterscheiden aber im selben Atemzug zwischen „fleißigen“ und „faulen“ Nationen. Vor dem Hintergrund der Verdi-Oper erscheint die EU, allen voran das wirtschaftsstarke Deutschland, als Kolonialmacht, die die „Schuldenstaaten“ entmündigt. Kritik wird hier zwar mit augenzwinkerndem Humor versüßt, aber dieser binationale Cocktail hat es in sich.

Kharálampos Goyós’ respektlos-kongeniales Arrangement der Verdi-Partitur – für Melodika, Saxofon, Harmonika und Bouzouki – gipfelt im Triumphmarsch; die schmetternden Bläser sind zu trötenden Kazoos geschrumpft. Auch andere bekannte Szenen werden eine Nummer kleiner: Zur Heimweh-Arie im dritten Akt steht Elpida nicht am palmenbestandenen Nilufer, sondern, ganz Praktikantin, an der Kaffeemaschine, während auf einer Leinwand im Hintergrund antike Topoi in grotesker Verfremdung vorbeiflimmern: geflügelte Eroten, die Schlangen eines Gorgonenhauptes, ägyptische Tänzer. Dann: in Großaufnahme Maria Callas. Die amerikanische Operndiva, einst gefeierte Besetzung der Aida, war die Tochter griechischer Einwanderer.

Der Produktion gelingt es, die Brücke zu schlagen zwischen dem Schicksal eines kaputtgesparten Landes und der Geschichte einer Migrantin, die für unsere Zeit paradigmatisch ist: hervorragende Ausbildung ohne die Chance auf eine Anstellung, Abwanderung ins Ausland, wo man zwar einen Job findet, aber auf Klischees festgelegt wird. (Denken wir an den wachsenden Unmut gegenüber SpanierInnen in Berlin!)

Und noch etwas scheint typisch für diese Epoche: Während Aida noch im Zwiespalt war zwischen ihrem Vaterland und ihrer Liebe zu einem Ägypter, steht ihre griechische Zwillingsschwester vor einer anderen Frage: Integrität oder Karriere? Das schlechte Gewissen, das Rainer der EZB den Rücken kehren lässt, ist ein Luxus, den Elpida sich nicht leisten kann.

Verdis Aida stirbt, lebendig eingemauert, zusammen mit ihrem Geliebten. Meist ist die Bühne in zwei Ebenen unterteilt: unten die Gruft, oben der Tempel mit den Priestern. In Neukölln fallen beide in eins, und es wird Herrn Jirgl beruhigen, dass niemand stirbt. Wie Aida und Radames singen Elpida und Rainer von neuen Türen, die sich öffnen. Aber sie durchschreiten sie in entgegengesetzte Richtungen. Ihre Affäre ist damit beendet. „Yasou“ heißt nicht nur „Hallo“, sondern auch „Tschüs“.

■ „Yasou Aida!“ am 26. 1. um 20 Uhr in der Neuköllner Oper, Karten 9–24 Euro. Auf dem Spielplan bis 26. 2. Umfangreiches Begleitprogramm! Am 25. 1. läuft der Film „Debtocracy“. 18 Uhr, Eintritt frei. Mehr Infos auf www.neukoellneroper.de