DAS BERLINER LEBEN, WENN ALL DER ANGEBERQUATSCH NICHTS MEHR BRINGT
: Mit Frank Bascombe auf Besichtigungstour

Westwärts, ho!

VON DIRK KNIPPHALS

Als Jugendlicher waren sie mir herzlich egal. Als Student habe ich mich über sie geärgert und hätte mir lieber in den Finger geschnitten als ihnen – „Halsabschneider!“ – Geld für eine Courtage hinterherzuschmeißen. Als junger Erwachsener wanderten sie allmählich in die gesetztere Rubrik „unvermeidbares Übel“ hinüber. Und dabei blieb es dann für ein paar Jahre.

Bis ich (großes Erlebnis) den Roman „Unabhängigkeitstag“ von Richard Ford las und lernte, dass man mit ihnen als Icherzähler all das zu fassen kriegt, was ein heutiges Leben ausmacht: das Tragikomische, das Traurige, das Selbstbestimmte, das Nichtselbstbestimmbare. Und kürzlich war ich bei ein paar Wohnungsbesichtigungen und schielte dabei heimlich immer zu ihnen hinüber; eigentlich sahen sie ganz interessant aus. Kurz, je länger ich auf diesem Planeten weile, desto näher sind mir Makler bislang gekommen.

Und ich frage mich: Ob die Makler auf diesen Besichtigungen früher auch einmal etwas anderes werden wollten? Richard Ford gibt seinem modernen Helden Frank Bascombe eine klar umrissene Biografie: erst hoffnungsfroher Schriftsteller, dann Sportreporter, schließlich Makler. Wenn man es recht überlegt: bestimmt kein untypischer Berliner Lebenslauf. Mit künstlerischen Ambitionen hergezogen, dann sich eine Zeit lang bei irgendwelchen Medien durchgeschlagen – und dann, aus welchen Gründen auch immer (Familiengründung, kein Bock mehr auf die Tretmühle als freier Autor, realistischere Lebenseinstellung nach Therapie) muss man halt irgendwann Geld verdienen und zieht zurück nach Westdeutschland oder findet sogar in der armen Hauptstadt einen Brotjob. Ach, wie es halt läuft, wenn „all der Angeberquatsch nichts mehr bringt“ (Element of Crime) und man auf Plan B umschalten muss.

Frank Bascombe entdeckt, dass so ein Leben als Makler gar nicht schlecht sein muss. Vor allem: Er nimmt sich immer wieder vor, ein guter Makler zu werden. Einer, der den Leuten keinen Quatsch aufschwatzt. Einer, der weiß, dass es bei Wohnungsfragen immer um Lebensentwürfe geht und seine Kunden manchmal selbst nicht wissen, was für sie das Beste ist. Wobei Frank dann natürlich auch immer wieder über die eigenen Ansprüche stolpert.

Zumindest bei zwei Maklern habe ich mir wirklich gedacht: Kann schon sein, dass das eher so Bascombe-Typen sind. Ich kann mir ja inzwischen sowieso gut vorstellen, dass bei vielen Berliner Lebensentwürfen spätestens im Alter um die vierzig herum die Entscheidung anstand: entweder zynisch werden – oder dann den Plan B wenigstens mit aller Leidenschaft angehen und das Beste daraus machen. Und manchmal kommt es mir sogar so vor, als ob sich viele Menschen für die zweite Möglichkeit entschieden hätten.

Es gibt jedenfalls in Schöneberg – da, wo ich wohne und mich ein bisschen genauer auskenne – so viele liebevoll geführte Weinhandlungen, Fahrradläden, Bars, Schreinergeschäfte, dass man denkt: Das ist jetzt nicht bloß so ein „Projekt“ oder, wie das mal hieß, eine Ich-AG. Das ist der Versuch, einem Lebensplan B das Entfremdete zu nehmen, indem man ihn, auch wenn man andere Ambitionen hatte, so gut betreibt, wie man irgend kann.

Bei einem der Makler hab ich dann nachgefragt. Er hatte tatsächlich alles von Richard Ford gelesen. Denis Johnson gefiel ihm aber besser. DIRK KNIPPHALS