Nicht immer nur Eis essen

AUTHENTIZITÄT Auf Blockbuster setzen oder lieber Originalfilme fördern? In Berlin diskutierten Autoren und Produzenten von Kinderfilmen über die Zukunft ihrer Branche und ihres Genres

Aber ist ein guter Kinderfilm nicht einfach ein Film, den Kinder mögen?

Seit geraumer Zeit beklagen Fachleute, Initiativen, Panels und Fachzeitschriften die Verarmung des deutschen Kinderfilms. Das anlässlich der Berlinale vom Förderverein Deutsche Kinderfilme organisierte Fachgespräch „Was ist ein guter Kinderfilm?“ zählt auch dazu: Beim Austausch zwischen Drechbuchautoren und Produzenten über die Zukunft des Genres zu Beginn der Woche in Berlin herrschte eine leichte Animosität. Die Autoren warfen den Produzenten Kommerzialität vor und diese den Autoren einen Mangel an Realitätsbewusstsein. Die Kassandra-Rufe zum deutschen Kinderfilm beschränken sich aber hauptsächlich auf die professionellen Kreise. Denn die Kinobesucher scheinen mit Bestseller-Adaptionen, Animationen, Remakes und Fortsetzungen gut bedient zu sein. Wer keine Lust auf internationale Sagas hat, findet auch „Vikings“, „Wilde Kerle“ und „Vorstadtkrokodile“ im Kino. Viele dieser Filme sind hervorragende Produktionen: Sie sind mit Fantasie gestaltet und haben identifikationsfähige Protagonisten. Kinder sind schließlich die Premium-Kunden des Kinos. Im Grunde könnte man sagen, es ging dem Kinderfilm in Deutschland noch nie so gut. Was also ist das Problem?

Eins der Catchwords heißt „Authentizität“. „Es entstehen kaum noch Spielfilme, die keine bekannte Vorlage haben, aber die Gegenwart in Deutschland und die Lebenswirklichkeit der Kinder abbilden“, konstatierte Kulturstaatsminister Bernd Neumann beim Deutschen Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz in Erfurt im 2011. Unter den Top Ten der erfolgreichsten Kinder- und Familienfilme von 2001 bis 2010 gebe es keinen einzigen Originalstoff. Originelle Drehbücher würden kaum mehr realisiert und produziert und schafften es, wenn überhaupt, selten ins Kino. Und selbst wenn sie dorthin gelangen, brächten sie ernüchternd weniger Besucherzahlen als die „Marken“-Filme.

Es geht aber nicht nur darum, unabhängige „Original“-Filme zu drehen, sondern auch darum, das Kindsein realitätsnah zu bebildern. Christian Zübert, Drehbuchautor des Films „Schatz der weißen Falken“, meint, ein guter Kinderfilm muss „die Lebenswelt von Kindern realitätsnah gestalten und ihre existenziellen Gefühle einfühlsam behandeln“. Themen gäbe es genügend: Patchwork-Familie, Leistungsdruck, Arbeitslosigkeit der Eltern, Cyber-Mobbing, sexueller Missbrauch. „Kinder gehen schließlich auch ins Kino, weil sie Antworten suchen“, fügte die Autorin der Film „Max Minsky und Ich“, Holly-Jane Rahlens dazu.

Aber ist ein guter Kinderfilm nicht einfach ein Film, den Kinder mögen? Die Produzentin Ingelore König hat ein Problem mit dem Begriff „authentisch“: die Geschichten auf der Leinwand müssten immer „bigger than life“ sein, um anzukommen. Vor allen kulturellen oder pädagogischen Ansprüchen müssten die Filme Spaß machen, sonst würden Kinder sie nicht anschauen.

Diese Debatte ist ewig alt. Natürlich schaut jedes Kind gern nur Disney, so wie jedes Kind gern nur Eis essen würde. Das heißt aber längst nicht, dass die deutsche Gesellschaft auf ein ausgeglichenes Ernährungsmodell verzichtet. Zwar kam mit den Blockbustern der Niedergang der Originalstoffe. Das muss aber nicht zwingend so sein.

Uschi Reich, die als erfolgreichste Produzentin von Kinderfilmen gilt, darunter Erich-Kästner-Klassiker wie „Pünktchen und Anton“ und „Das fliegende Klassenzimmer“, meint: „Durchgreifende Änderungen gehen nur über einen starken Lobbyismus, und der Kinderfilm hat keine Lobby.“ Das „kleine“ Holland geht voran. In den Niederlanden hat ein Zusammenschluss aller wichtigen Branchenbereiche 2011 die Produktion von 15 originalen Kinderstoffen ermöglicht. Ein ähnliches Kooperationsmodell wünscht sich der Förderverein Deutscher Kinderfilme.

In diesem Jahr gibt es die Chance, die Rufe nach mehr Förderung zu konkretisieren: 2014 steht die Novellierung des Filmförderungsgesetzes an, ihre Neufassung steht jetzt an. Neben anderen Branchen wie dem Kurzfilm böte sich die Gelegenheit, auch den Kinderfilm dort hineinzuschreiben. Bisher kam er im Gesetz noch gar nicht vor.

Der Berliner Film- und Fernsehverband hat vergangenen Freitag zur Unterzeichnung einer Petition zur Kinderfilmförderung aufgerufen: Das Gesetz sollte verändert werden, sodass „ein Viertel des Etats verpflichtend ausschließlich unabhängig produzierten deutschen Kinderfilmen zur Verfügung stehen sollte“. Ob die Kinder es noch gucken? „Wir glauben immer, besser zu wissen, was die Kinder mögen“, sagt König, aber sie seien die schwierigsten Kunden.

ANNA POLONYI