Ein Pferd trabt durch die Hölle

SCHLACHTROSS Mit „Gefährten“ nimmt Steven Spielberg die alte Hollywood-Tradition des archaischen Kriegsmelodramas wieder auf- nach „Tim & Struppi“ eine weitere Literatur-Adaption

VON ECKHARD HASCHEN

Man muss wohl schon Steven Spielberg sein, um erst ein paar Abenteuer von Tim und Struppi, einem der Heiligtümer der Comic-Literatur, für die Leinwand zu adaptieren und dann das 1982 erschienene Kinderbuch „Schicksalsgefährten“ von Michael Morpurgo – und nicht nur den Vorlagen gerecht zu werden, sondern dabei die gegenwärtigen Ausdrucksmöglichkeiten des massenwirksamen Kinos im Moment des wohl endgültigen Übergangs vom analogen zum digitalen Film souverän vorzuführen und stellenweise sogar zu erweitern.

So leicht wie aus Hergés Kunst der klaren Linie ein weiteres gesichtsloses 3D-Spektakel statt eines Wunderwerks filmischer Fabulierkunst hätte werden können, hätte aus der Geschichte der unsterblichen Liebe eines Jungen zu seinem Pferd – die im Roman gar aus der Sicht dieses Pferdes erzählt wird – ein eindimensionales Rührstück werden können. Ist es aber gerade nicht geworden.

Der Grund hierfür dürfte neben Spielbergs scheinbar müheloser Beherrschung seiner Mittel vor allem in seiner Erzählhaltung liegen. Der inzwischen 65-Jährige glaubt aus tiefstem Herzen an die Geschichten, die er erzählt und nimmt dabei seine Figuren und deren Gefühle absolut ernst. Er praktiziert dies in seinen Filmen – am schönsten vielleicht in dem zu Unrecht kaum mehr geläufigen „Das Reich der Sonne“ von 1987 – im Grunde schon seit Jahrzehnten so und steht mit dieser aufrichtigen Haltung – wiewohl einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Mythopoeten unserer Zeit – immer schon ein wenig quer zu den spätestens seit den 80er Jahren sehr viel mehr von Ironie (wie etwa bei den Coen-Brüdern) oder Nihilismus (wie etwa bei Quentin Tarantino) durchtränkten filmischen Erzählweisen.

Mit „Gefährten“ hat Spielberg einen Ersten-Weltkriegs-Film gedreht, ein Genre, das vor über 80 Jahren in Hollywood sehr en vogue war (William Wellmans „Wings“ und „Im Westen nichts Neues“ von Lewis Milestone, nach dem Roman von Remarque, gewannen 1927/28 bzw. 1929/30 jeweils den Oscar für den besten Film). Mehr noch als auf diese bezieht Spielberg sich jedoch auf King Vidors „The Big Parade“, Frank Borzages „Seventh Heaven“ und „Four Sons“ von John Ford (letzterer stand auch schon bei Spielbergs Zweitem-Weltkriegs-Film „Der Soldat James Ryan“ Pate). Wie Ford idealisiert Spielberg seine Figuren zwar, verortet sie dafür aber sehr genau in der Welt und in den Familienverhältnissen, in denen sie leben.

Im ländlichen England des Jahres 1913 würde Albert (Jeremy Irvine) normalerweise nie gegen seinen Vater (Peter Mullan) oder seine Mutter (Emily Watson) rebellieren. Doch als der edle Wallach names Joey, mit dem er gerade Freundschaft geschlossen hat, wieder verkauft werden soll, weil er für die schwere Feldarbeit nicht zu taugen scheint, tut Albert buchstäblich alles, um dies zu verhindern (sehr markant: David Thewlis als Großgrundbesitzer).

Dieser soziale Hintergrund bildet den Resonanzboden, den man stets im Hinterkopf behält, als der Rappe bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zur Kavallerie abgestellt wird und Albert erst einmal aus der Erzählung verschwindet. Bis er dann alt genug ist, um selbst zum Kriegsdienst eingezogen zu werden und seinen Gefährten schließlich nach einer wahren Odyssee durch Schützengräben, von Stacheldraht gesäumtem Niemandsland und Gasangriffen auf geradezu wundersame Weise wiedertrifft.

Aber diese Überhöhung, zu der die kongeniale Kameraarbeit von Janusz Kaminski und die hier und da vielleicht etwas zu pompös geratene Musik von John Williams das ihre beitragen, sollte man nicht vorschnell als Kitsch abtun, auch wenn manch einem auf den ersten Blick vielleicht Assoziationen zu Black Beauty- oder Lassie-Filmen kommen mögen.

Sehr viel mehr jedenfalls als bei dem Oscar-Favoriten „The Artist“ oder bei Martin Scorseses „Hugo Cabret“, deren Rückgriffe auf die 10er und 20er Jahre des 20. Jahrhunderts sich bei allem Charme und aller Virtuosität letztendlich in vordergründiger Nostalgie erschöpfen, hat man bei Spielbergs archaischem Kriegsmelodram das Gefühl, the real thing beizuwohnen. Womöglich ist die Kunst – zumal die populäre – ja wirklich wahrer als das Leben.