Das Strunk-Prinzip

ADOLESZENZ-HÖLLE Die Welt ist immer so, wie du sie dir erzählst: Das Künstler-Trio Studio Braun bringt Heinz Strunks autobiographischen Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ im Hamburger Schauspielhaus in einer Neufassung auf die Bühne

Heinz ist ein bedauernswerter Vogel. Durch eine Lärmschutzmauer von der Hauptstraße und überhaupt von der restlichen Welt abgeschirmt, wächst er in den 1970er Jahren mit Opa, Oma und Mama in einem „Zwergenhaus“ in Hamburg-Harburg auf – im Schatten der unheilvollen Phoenix-Werke. Zwei Dinge sind es, die sein frühes Leben prägen: Opas homoerotische Verherrlichung des Ersten Weltkriegs und Omas aggressive Lustfeindlichkeit.

„Alles hier ist etwas kleiner als anderswo“, heißt es einmal. Und das betrifft auch die Vorstellungen vom Glück. In der neu aufgelegten Bühnenfassung von Heinz Strunks autobiographischem Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ verwandelt das Künstler-Trio von Studio Braun die Bühne des Hamburger Schauspielhauses in einen riesigen Glücksspielautomaten (Bühnenbild: Damian Hitz).

Vor einer surrealen Kulisse sehen wir den kleinen Heinz heranwachsen und dem Scheinwerferkegel hinterherjagen. Niedergedrückt von inneren und äußeren Kräften träumt Heinz (von Stefan Haschke mit großem Einsatz gespielt) von der steilen Karriere als Musikproduzent. Aber von Hormonen und von Schuldgefühlen gleichermaßen geplagt, verendet er als Dauer-Onanierer und Organist am Gitarrenkeyboard einer Schützenfestkapelle namens Tiffanys. Ob im blauen Frotteeschlafanzug oder im pinken Glitzersacko, das Licht des Glücks scheint immer dorthin zu fallen, wo Heinz gerade nicht ist.

Im Roman ist es Strunks Gespür für die umständliche, aber treffende Formulierung, das die Waage zwischen dem Tragischen und dem Komischen hält. In der Inszenierung ist es vor allem das gewollt laienhafte und selbstironische Spiel von Studio Braun, das der Chronologie der Trostlosigkeiten seine Leichtigkeit verleiht. Wie gewohnt unterlaufen Schamoni und Co. die Gags dabei eher, als das sie punktgenau einstudiert wären. Nicht selten gibt es abrupte Lachanfälle – nicht nur beim jubelnden Publikum.

Wie in der Buchvorlage ist auch das Stück ein Sammelsurium von Freaks und schrägen Typen. Und jede Figur hat ihren ganz eigenen Kernsatz. Ob es das dreifache „Furchtbar!“ von Heinz dahinsiechender Mutter (Heinz Strunk) ist, die Gaga-Sprüche von Gurki (glänzend abgeliefert von Stephan Schad) oder die infantilen Phrasen so genannter Life-Coaching-Gurus sind. Das Strunk-Prinzip könnte lauten: Die Welt ist stets so, wie du sie dir erzählst.

„Das Wichtigste im Leben ist immer das Ende“, weiß der kleine Heinz von seinem Opa (Rocko Schamoni). Und am Ende der Show tritt ein Deus ex machina in Gestalt einer freundlich gesinnten und wörtlich zu nehmenden Schwanzmaus auf. Einmal mehr schlagen Studio Braun „das braune Gold aus dem Schacht der Trübsal“ heraus. Mit der Bühnenversion von „Fleisch ist mein Gemüse“ feiern sie ihren Humor einmal mehr als eine Form von Überlebenskunst ab.SAMUEL MOON

■ Hamburg: Fr, 24. 2., 20 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39; weitere Termine: 27. 2., 7. 3., 21. 3., 30. 3., 29. 4., je 20 Uhr