NOTIZBUCH
: Kafkafunde

Seltsamerweise gibt es immer noch Menschen, die bezweifeln, dass man damit, Franz Kafka zu lesen, nicht nur Anschluss an den literarischen Kanon haben kann, sondern auch schlicht: Spaß. Zu übermächtig sind die existenzialistisch aufgeladenen Klischeebilder vom so unglücklichen wie verrätselten Prager Literaturheiligen mit Hut und Anzug, in dessen Texte man große Weltgroßdeutungen hineingeheimnissen kann, denen man sich aber auch immer mit ernster und wichtiger Miene nähern muss.

Reiner Stach, der Kafka-Biograf, unternimmt nun nach dem 2011 erschienenen Hörbuch „Kafkas Spiele“ einen weiteren hinreißenden Versuch, diesem Klischee entgegenzutreten und die Neugierde entdeckungsfreudiger Leser mit verblüffenden Funden und kleinen Kostbarkeiten zu belohnen. „Ist das Kafka? 99 Fundstücke“ heißt sein nun im Fischer-Verlag erschienener Band (336 Seiten, 19,99 Euro). Darin finden sich Lebenszeugnisse, hinterherrecherchierte Textstellen, Briefe – alles in allem eine gute Möglichkeit, Kafka das überirdisch Entrückte zu nehmen, ihn zu erden.

Bei manchen Entdeckungen ist man wirklich verblüfft; zum Beispiel konnte niemand seine Augenfarbe beschreiben. Von „dunklen“, „grauen“, „blauen“ und „braunen“ Augen ist in Zeugnissen über ihn die Rede. In seinem Reisepass ist die Augenfarbe mit „dunkelblaugrau“ vermerkt. Bei manchen Entdeckungen muss man schmunzeln: etwa wenn Kafka versucht, die Unterschrift Thomas Manns nachzuahmen; das Faksimile eines solchen Versuchs findet sich im Buch. Manches führt gut in das Werk hinein: der Grundriss der elterlichen Wohnung in der Prager Niklasstraße 36, den Kafka eins zu eins in seine Erzählung „Die Verwandlung“ übernahm – nur tauschte er Elternschlafzimmer und Schwesternschlafzimmer aus. Und manches grenzt an Zauberei: wenn man Kafka auf einem Wimmelfoto von 1920 in einer Menge von mehreren tausend Menschen erkennt.

Wie Kafka flirtet, wie er Bier trinkt, worüber er weint, worüber sich ärgert, wie er U-Bahn fährt, welche Lieder er mochte – dazu und noch zu viel mehr hat Reiner Stach, der akribische Forscher, Materialien gefunden. Das Buch ist mindestens eine schöne Liebhaberei und eigentlich noch viel mehr: eine Verführung dazu, sich mal wieder mit Kafka zu beschäftigen. DRK