Alter Affe Mensch

ZIVILISATIONSTHEATER Das Verdrängte der Gesellschaft lauert als Ungeheuer in uns allen: Das Hildesheimer Künstlerkollektiv Theater Aspik erweckt in der Bremer Schwankhalle den Dschungelkönig „King Kong“ erneut zum Leben – in einem Großraumbüro

Jedes aufkeimende Begehren wird romantisch verklärt oder fetischisiert

VON SAMUEL MOON

Skull Island ist eine bis heute unentdeckte Insel westlich von Sumatra. Verborgen im diesigen Nebel soll das Eiland eine gigantische Mauer durchziehen, die so alt ist, dass niemand mehr weiß, wer sie erbaut hat und warum. Man munkelt, dass hinter der Mauer gefährliche Tierarten leben, die zoologisch noch nicht vollständig dokumentiert sind.

Von einer Kreatur dieser fiktiven Insel gibt es indes reichlich Bildmaterial. Seit 1933 geistert King Kong durch die Filmgeschichte. Das Künstlerkollektiv Theater Aspik erweckt das Ungeheuer nun erneut zum Leben und bringt es auf die Bühne. Statt aber die altbekannte Geschichte einfach nachzuspielen, nähert sich die Inszenierung von Uli Jäckle dem Dschungelkönig aus der Tiefe eines Großraumbüros.

Wir sehen sechs Angestellte an ihren kleinen Tischen bei ihrer täglichen Arbeitschoreographie. Die Gesten und Rituale sind getaktet. Das Personal verhält sich uniform. Nur nach und nach machen sich kleine Marotten bemerkbar. Irritationen feinster Abweichungen. Neurotische Ticks und Grimassenschneidereien, mit denen sich die Körper zu verselbständigen scheinen.

Der Inszenierung merkt man dabei ihren kollektiven Entstehungsprozess stark an. Hier wird weniger erzählt, als dass Themen und Bilder assoziativ entwickelt werden. So raucht und brodelt es plötzlich. Es wird geschmatzt und gerülpst. Und im Hintergrund zerlegt jemand gewaltsam einen Holzstuhl. Nur für sexuelles Begehren scheint es keine passende Ausdrucksform zu geben. Die Männer beäugen ihre blonden Kolleginnen wie verklemmte Büroaffen.

Während Hollywood dem Riesengorilla mit seiner Liebe zu der blonden Schönheit humane Züge verlieh, wird in diesem Stück jedes aufkeimende Begehren romantisch verklärt oder fetischisiert. Zähne fletschend werden voreilige Heiratsanträge genuschelt oder Körperteile mit Wäschklammern malträtiert. Das ganz große Gefühl bleibt dabei freilich aus. Folgerichtig gibt man auch einen alten Chris-Isaak-Song zum Besten: „It’s strange what desire will make foolish people do“.

Theater ASPIK versetzt uns mit seiner King-Kong-Performance in eine Welt, in der das Verdrängte der Gesellschaft die Geokoordinaten von Skull Island hat. Die Mauer verläuft hier durch das Innere der Figuren. Und etwas Fremdes scheint immer lauter gegen das alte Gemäuer zu klopfen.

Auf die Frage, was das böse Spiel um den Affen in uns allen soll, gibt es erst am Ende eine szenische Antwort. Von unten schaut man den Figuren zu, wie sie vom Empire State Building die schöne Aussicht genießen.

■ Bremen: Fr, 2. 3. + So, 4. 3., 20 Uhr, Schwankhalle