Weil das Internet zu langsam war

ESSAY Libysche Aufständische werden gefeiert, die List der ägyptischen Demonstranten wird bewundert: In Berlin finden in diesen Tagen viele Veranstaltungen zur arabischen Rebellion statt. Einige Beispiele

Nach 18 Tagen zerfiel die Einigkeit auf dem Tahrirplatz in unterschiedliche Fraktionen, in Künstler, Religiöse

VON KATRIN EISSING
UND HELMUT HÖGE

Im Babylon Mitte fand am Tag der libyschen Befreiungsfeier, dem 17. Februar, eine ungewöhnliche Veranstaltung statt. Gezeigt wurde ein Film der Fernsehjournalistin Nicole Nagel. Die Regisseurin war auf eigene Rechnung während der Kämpfe gegen das Gaddafi-Regime nach Benghasi geflogen, hatte dort etliche Rebellen interviewt und war dann mit ihnen gen Tripolis gezogen, wobei sie mitunter der Front sehr nahe gekommen war.

„Win or Die: Voices Of The Libyan Revolution“ heißt ihr Film. In der Diskussion nach der Vorführung bezeichnete sich Nagel als Adrenalin-Junkie. Der Kinosaal war fast zur Hälfte mit Exil-Libyern gefüllt, von denen nicht wenige in den Kämpfen verwundet worden waren. Ob des Sieges der Rebellen waren sie jedoch guter Laune. Das libysche Publikum im Kinosaal wiederholte die im Film geäußerten Parolen und Forderungen, was aus der Filmvorführung ein kleines Fest machte, das anschließend in der Volksbühne seine Fortsetzung fand. All das war wie der Film sehr unkritisch und euphorisch.

Auf die Frage „Wie geht es nach dem Sieg der Rebellen nun weiter?“ wurden in der anschließenden Diskussion eigentlich nur Wünsche geäußert. Glaubt man dem in Berlin als Arzt tätigen Libyer Muhamed Ben Dala, der am Aufstand gegen das Gaddafi-Regime teilnahm, dann hält die Euphorie noch an: „Die Leute protestieren jetzt gegen alle möglichen Dinge. Sie demonstrieren gegen Korruption, für Frauenrechte, gegen die unkontrolliert im Umlauf befindlichen Waffen, gegen den Nationalen Libyschen Übergangsrat. Sie wollen, dass ihre Stimmen gehört werden. Das ist etwas völlig Neues. Oft gibt es auch Beschwerden, weil die Löhne nicht gezahlt werden. Die Leute fragen sich, warum es kein Geld gibt, obwohl ja weiter Öl exportiert wird. Es gab sogar schon Proteste, weil das Internet zu langsam war. Die Jungen wollten, dass Facebook wieder schneller läuft. Darüber haben sich andere lustig gemacht und dagegen protestiert, dass so viel protestiert wird. Es bilden sich überall neue Initiativen für alles Mögliche: für Arme, für Bäume oder für Tiere. Wir haben früher nie etwas für unser Land getan. Man hatte das Gefühl, dass es uns gestohlen worden war und man als eine Art Exilant im eigenen Land lebte. Dieses Gefühl ist weg. Die Leute engagieren sich und die Zivilgesellschaft wächst schnell – ohne den Staat.“

Ähnliches erfuhr man auch auf der nächsten Veranstaltung am 24. Februar im Mehringhof, wo drei junge Ägypter und eine Deutsche, die sich in Kairo am Aufstand beteiligt hatten, über die derzeitige Situation Auskunft gaben. Die von der Kölner Projektgruppe Horreya („Freiheit“) organisierte Diskussionsreihe, die in Bremen und in Köln fortgesetzt wurde, hatte den Titel: „Die Revolution hat erst begonnen“. Die Veranstalter hofften, „damit das Feuer der Revolution auch ein bisschen in dieses Land zu tragen“. Begeistert genug waren die vier Redner, sie hatten die Besetzung des Tahrirplatzes mitgemacht, aber ihr Engagement hatte gleichzeitig verhindert, dass sie sich über die neuen Kräfteverhältnisse, wie sie dadurch in Ägypten entstanden waren, Klarheit verschaffen konnten. Zumal die Kluft zwischen ihrer individuellen Erfahrung und der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung nur mit einem Zuviel an Interpretation von zu wenig Fakten geleistet werden konnte, wie die über die Frauenperspektive referierende Henriette Heise meinte.

Die Macht des Militärs

Aus dem Publikum kamen dennoch immer wieder Fragen nach der Macht der Militärs, der Muslimbruderschaft, der Einmischung des Auslands und den Unterschieden zu den Aufständen in Libyen und Syrien. Die Zusammensetzung des Podiums gestattete unterschiedliche Erzählperspektiven: Neben der deutschen Feministin war es Hammo Moghazy, der sagte, er komme aus der Unterschicht, während der Architekt Mostafa al-Gamal aus der Mittelschicht komme und der „Streetart“-Künstler Ganzeer Fahmy aus der Oberschicht.

Als die Demonstrationen begannen, vereinigten sie sich regelmäßig auf dem Tahrirplatz. Das ging laut Hammo Moghazy wochenlang so. „Die Regierung ließ alle Gefängnisse öffnen und versuchte ein Chaos anzurichten, um die Massen dazu zu bringen, nach der Polizei zu rufen, aber das Gegenteil passierte. In jeder Straße schlossen sich Leute zusammen, um die Nachbarschaft mit Waffen selbst zu schützen.“

Gruppen wurden gebildet und staatlich gelenkte Gegendemonstrationen abgewehrt. „Ab dem 25. Januar begannen wir, die Freiheit zu schmecken, und es war uns egal, was passieren würde. Wir gingen einfach los, entwickelten neue Wege der Kommunikation, indem wir zum Beispiel die Taxifahrer als Multiplikatoren zur Verbreitung von Neuigkeiten und Treffpunkten nutzten. Wo immer viele Leute waren, inszenierten wir Gespräche und Diskussionen. Auf Plätzen, vor Supermärkten und Moscheen. In meiner Gruppe waren wir zu fünft. Eine Frau war dabei, die aus ihrer Familie vertrieben worden war und auf der Straße lebte. Wir haben dann erst draußen gebetet und danach haben wir sofort Parolen gerufen und sind losmarschiert. Es war uns egal, was passierte, wir sahen uns nicht um. Nach fünf Kilometern waren wir schon 7.000 Leute. Unsere Demonstrationen begannen meist in den armen Gegenden, und wir trafen uns dann mit den Mittelschichtlern am Tahrirplatz. Ich traf also Mohammed dort, oder Mostafa hat mich dort getroffen auf seinem Weg in die Randbezirke, als ich auf dem Weg in die Innenstadt war.“

Mostafa al-Gamal ergänzte, dass Arbeiter bei Streiks mit Studenten zusammenarbeiten und sie am 1. Mai 2012 einen Generalstreik durchführen wollen. „Die nächste Welle der Revolution wird eine globale sein“, versicherte er, „und die sozialen Medien werden darin erneut eine wichtige Rolle spielen.“

24 Stunden crazy Party

Während Henriette Heise gestand, dass es ihr schwerfalle, sich einen „Aktivisten“ hinterm Laptop vorzustellen, erklärte Ganzeer am Beispiel einiger seiner politischen Plakate und „Parolen“, wie ein „gutes Image“ – als „online-offline-activity“ – funktionieren kann: Auf das Kleben eines Plakats an einer Straßenecke folgt die Verhaftung, über die, während er noch im Polizeiauto sitzt, schon über Twit- ter und Facebook berichtet wird, zusammen mit dem Plakat, das dann auch im Fernsehen und auf Blogs auftaucht, von wo es auf T-Shirts und Flugblätter gelangt – und so zurück auf die Straße. (Siehe dazu: rollingbulb.com/)

Auf die „Fehler“ angesprochen, die im Verlauf des Aufstands gemacht wurden, meinte Mostafa al-Gamal: „Wir haben vor dem Präsidentenpalast gezeltet, es war eine Art crazy Party, aber nur 24 Stunden, dann sind wir nach Hause gegangen – das war ein Fehler.“ Henriette Heise gab jedoch zu bedenken: „Die Leute mussten arbeiten, um Geld zum Überleben zu verdienen, also mussten sie irgendwann nach Hause gehen. Das ließ sich nicht ändern.“

Schlimmer sei es gewesen, dass die Einigkeit auf dem Tahrirplatz nach 18 Tagen wieder zerfiel – in unterschiedliche Fraktionen, wie hier Künstler und Intellektuelle und dort die Religiösen. Aber zunächst habe die Revolution die sozialen, geschlechtlichen und kulturellen Barrieren überwunden. Das sei sehr befreiend gewesen. Als Frau fühlte Henriette Heise auf dem Tahirplatz sofort eine „Stimmung des Respekts. Die war das neue Ägypten. Eine neue Erfahrung – an einem so öffentlichen Ort, als Frau, in einer Menge, inmitten von Männern.“