Sieht aus wie Bilderrätsel

IM FLUSS Der Künstler Takehito Koganezawa gastiert mit seiner Ausstellung „Luftlinien“ im Haus am Waldsee

Es ist eine mitreißende Bewegung, ein Vorbeistürzen am Auge des Betrachters

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es scheint alles so einfach. Wie von einem kindlichen Gemüt erdacht. Die Spur der bunten Stecknadelköpfe etwa, die Takehito Koganezawa im Haus am Waldsee über zwei Etagen schickt, die Wände hoch, durchs Treppenhaus, über die Decke, bis zum Fenster, erinnert an Ameisenstraßen und heißt auch tatsächlich „Ants“. Etwas scheinbar Naives, oft Freundliches, manchmal sogar Niedliches oder Lustiges nimmt von den Zeichnungen und Installationen des Japaners den Druck des Bedeutenwollens. Dieses sympathische Einhaken bei ganz alltäglichen, von keinem Kunstanspruch korrumpierten Dingen zeichnet Takehito Koganezawa aus. Das sieht man wieder in seiner Ausstellung im Haus am Waldsee, der ersten größeren institutionellen Schau des Künstlers, der seit zehn Jahren in Berlin lebt.

Die Himmelszeichnungen der Flugzeuge, wer kennt sie nicht? Wenn Takehito Koganezawa die leuchtend hellen Doppelstreifen ins Geviert eines digitalen Bildschirms bannt, erzeugt er also zunächst ein Wiedererkennen, ein Anknüpfen an fast jedermanns Sehnsucht, ja, Wegfliegen wäre jetzt schön. Dann kommt der Moment, in dem man den Unterschied bemerkt: Denn das Video „Jet in a Rectangle“ (2009) ist eine trickreiche Komposition. Jedes Mal, wenn die Linie den Bildschirm berührt und das Flugzeug nun eigentlich aus dem begrenzten Geviert des Bildausschnittes hinausfliegen würde, prallt die Linie am Rand ab wie eine Billardkugel, schlägt einen Haken und kehrt ins Bild zurück. Als ob dessen Begrenzung dem Piloten einen Zickzackkurs vorgegeben hätte.

Das Grenzüberschreitende plötzlich so auszubremsen, das ist genau die Umkehrung der Bewegung auf den übrigen Flachbildschirmen im gleichen Ausstellungsraum. Da sieht man gezeichnete Linien in einem scheinbar unendlichen Fluss über die Bildfläche schießen, von oben nach unten, von unten nach oben, sich annähernd und überkreuzend, in simultanen und asynchronen Geschwindigkeiten. Eine mitreißende und temporeiche Bewegung, ein Vorbeistürzen am Auge des Betrachters. Und doch ist eigentlich nicht klar, was sich hier bewegt: der Buntstift, der die Linie zieht? Die Kamera, die eine gezogene Linie erfasst? Der Bildgrund, auf dem sich die Linie ereignet?

Das wirkt so leicht und ist doch auch eine Reflexion über die Bedingungen von Zeichnung und Ereignis. In den Videos ist ein Strich etwas, das geschieht, und nicht, was schon geschehen ist. Eine vergrößernde Optik spielt dabei eine Rolle, die den Strich als Bündel feinster Farbspuren zeigt und in das, was dem unbewehrten Auge geschlossen und kompakt scheint, eindringt und es zum luftigen Gebilde macht. „Luftlinien“ heißt die Ausstellung deshalb zu Recht.

Viele Assoziationen stellen sich vor den Arbeiten von Takehito Koganezawa ein. In „Paint it black and erase“ wischt der Künstler mit den Fingern durch Rasierschaum auf einer Glasplatte, wieder vergrößert die Kamera die Bewegung. Klar, das erinnert an die abstrakte Malerei des Informel, zumindest den Betrachter, der diesen Stil aus den fünfziger/sechziger Jahren kennt – aber auch, wenn nicht, ist es ein Vergnügen, die einst so programmatischen abstrakten Befreiungsschläge in ein ephemeres Spiel verwandelt zu sehen, ein Hin- und wieder Wegmalen, nichts bleibt, nichts lastet.

Dieses Spiel von bildnerischer Behauptung und ihrer Rücknahme findet sich auch in Zeichnungen von Takehito Koganezawa, die Gegenständliches, oft Kinder- oder Fantasiefiguren mit abstrakten Bildelementen kombinieren. Das sieht aus wie Bilderrätsel, ein Nebeneinander unterschiedlicher Codes, die die Möglichkeit, etwas zu bedeuten, nur vorweisen, aber nicht wirklich annehmen. Was stattdessen übrig bleibt, ist ein bloßer Ausbruch von Energie.

■ Haus am Waldsee, Di.–So., 11 bis 18 Uhr, bis 20. Mai