Axel Schildt über NS-Forschung in Hamburg: "Ärger hat uns nie interessiert"

Vor 15 Jahren wurde die Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte zum dritten Mal neu erfunden. Das Thema Nationalsozialismus trägt sie seither nicht mehr im Namen. Dennoch, sagt Direktor Axel Schildt, befasse sie sich intensiv mit der Epoche.

Erforscht Intellektuellen-Geschichte: Axel Schildt. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Schildt, warum ist die „Forschungsstelle für Zeitgeschichte“ ursprünglich gegründet worden?

Axel Schildt: Um über das lokale NS-Regime aufzuklären. Der erste Vorläufer unseres heutigen Instituts wurde 1949 gegründet und hieß „Forschungsstelle für die Geschichte Hamburgs 1933–1945“. Diese Aufgabenbestimmung ging auf einen Beschluss der Bürgerschaft zurück.

Konkreter Anlass war ein Buch über den Hamburger Gauleiter, Karl Kaufmann.

Ja. Die 1947 erschienene Studie „Das letzte Kapitel. Geschichte der Kapitulation Hamburgs“ von Kurt Detlev Möller verbreitete die Legende vom noblen Gauleiter Kaufmann, weil er die Stadt durch kampflose Übergabe vor dem Untergang gerettet habe. Ausgeklammert blieb allerdings alles, was die Nationalsozialisten seit 1933 angerichtet hatten.

Die erste Forschungsstelle sollte also richtigstellen?

Ihre Gründung war jedenfalls auch eine Reaktion auf das Buch, das starke Proteste in Bürgerschaft und Medien ausgelöst hatte.

Wie recherchierte man damals?

Es war ein prekäres Unterfangen. Der Leiter und die beiden Mitarbeiter des Instituts – mehr Personal gab es nicht – haben versucht, auch das Vertrauen ehemaliger NSDAP-Funktionäre zu gewinnen, um an deren Erinnerungen und Unterlagen zu gelangen. Dafür wollten sie keine Öffentlichkeit.

Was kam dabei heraus?

Veröffentlicht wurde nichts, aber es gingen vertrauliche Berichte an den Senat. Mitte der 50er Jahre wurde die erste Forschungsstelle geschlossen.

Und dann?

Im Winter 1959/60 gab es eine bundesweite antisemitische Welle mit Hakenkreuz-Schmierereien, auch in Hamburg, die in der Presse große Aufmerksamkeit fand. Das war der Hintergrund für einen Bürgerschaftsbeschluss im Frühjahr 1960, eine neue „Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg“ zu gründen, die auch dessen Vorgeschichte in den Blick nehmen sollte.

Aber die erste wegweisende Publikation zum Thema, der Band „Hamburg im ’Dritten Reich‘“, erschien trotzdem erst 2005.

Zu einzelnen Bereichen, von der Justiz bis zur Schule, hatte es durchaus eine ganze Reihe wichtiger Publikationen über die NS-Zeit in Hamburg gegeben, besonders viele in den 1980er Jahren, auch von Geschichtswerkstätten. Aber eine Gesamtdarstellung wurde von uns in der Tat erst 2005 veröffentlicht. Damit haben wir quasi eine politisch-moralische Pflicht erfüllt.

1997 wurde das Institut umbenannt in „Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg“. Warum das?

Zum einen aus formalen Gründen, denn seither ist das Institut keine Abteilung der Behörde für Wissenschaft und Forschung mehr, sondern eine Stiftung bürgerlichen Rechts. Der andere Grund ist ein inhaltlicher: Freie Forschung verträgt sich schlecht mit der Einbindung in behördliche Strukturen. Seit der Umbenennung hat sich die überregionale und internationale Sichtbarkeit unseres Instituts qualitativ verbessert.

Nicht mehr vor kommt im Titel der Auftrag, den Nationalsozialismus zu erforschen. Eine Aufweichung.

Ich würde es eher Erweiterung nennen. Seit den späten 80er Jahren wurde immer deutlicher, dass es für die Erforschung des Nationalsozialismus nicht ausreicht, die Zeit von 1933 bis 1945 zu erforschen. Vielmehr ist eine Jahrhundertperspektive erforderlich, die Längsschnittuntersuchungen über die politischen Zäsuren hinweg erlaubt. Außerdem kommt inzwischen die Geschichte der Aufarbeitung des NS als eigenes Forschungsgebiet hinzu.

60, ist seit 2002 Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und Professor für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg, der die Forschungsstelle seit dem Jahr 2000 angegliedert ist.

Eine seiner wichtigsten Veröffentlichungen war 1988 der Band "Die Grindelhochhäuser. Eine Sozialgeschichte der ersten deutschen Wohnhochhausanlage Hamburg-Grindelberg".

Zuletzt erschien 2011 die Aufsatzsammlung "Annäherung an die Westdeutschen. Sozial- und kulturgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik" (Wallstein Verlag, Göttingen).

Es hatte also nichts damit zu tun, dass irgendwer fand, der Nationalsozialismus sei ausreichend erforscht?

Nein, im Gegenteil! Die Zahl unserer Veröffentlichungen zu diesem Thema haben sich seither vervielfacht. Voriges Jahr etwa haben wir einen Band über die Hamburger Hochbahn im „Dritten Reich“ veröffentlicht.

Das Verkehrsunternehmen bediente sich damals Zwangsarbeitern, wie etliche andere Betriebe auch.

Ja.

Und welche Projekte sind derzeit bei Ihnen in Arbeit?

Unter anderem bereiten wir Projekte zu den wirtschaftlichen Interessen Hamburger Unternehmen in den besetzten osteuropäischen Ländern während des Zweiten Weltkriegs vor. Ein anderes Projekt soll der Frage nachgehen, was mit dem NS-Vermögen nach 1945 passierte. Die Auseinandersetzung um die Rückgabe des GEW-Gebäudes in der Rothenbaumchaussee 19 in Hamburg vor einiger Zeit war ja nur die Spitze des Eisbergs.

Brisante Themen.

Ob irgendetwas Ärger einbringt, war nie ein Kriterium für uns.

Sie selbst sind derzeit freigestellt. Was tun Sie?

Ich schreibe ein Buch über die Geschichte der Intellektuellen in der Bundesrepublik. Dabei geht es mir besonders um deren mediale Vernetzungen für die Durchsetzung von Meinungen.

Also um Manipulation?

So würde ich es nicht nennen. Vielmehr geht es mir darum, die klassische Zeitgeschichte der Ideen mit der Perspektive der Akteure und ihrer Netzwerke darstellerisch zu verbinden.

Sie haben viel über Eliten gearbeitet. Ist der Begriff noch zeitgemäß?

Man kann zunächst nüchtern Eliten als Funktionseliten bestimmen: Leute, die wichtig sind für das Funktionieren einer Gesellschaft, Richter ebenso wie Zahnärzte. Aber Elite hat noch eine andere Konnotation – jedenfalls im Gründungsjahrzehnt der Bundesrepublik. Da hat man die abendländischen Kultureliten den Massen gegenübergestellt. Man muss bedenken, dass 1950 vier Prozent der Deutschen Abitur hatten. Heute sind es 40 Prozent. Da funktioniert die Polarisierung so natürlich nicht mehr.

Würden Sie sich selbst zur Elite zählen?

Wie gesagt, ich mag das Wort nicht. Denn ideologisch schwingt immer die kulturelle Höherwertigkeit einer Gruppe mit, die deshalb auch das Recht auf Privilegien hätte – oder darauf, anderen zu sagen, wo es langgeht. Die Vorstellung einer „Elite“ reibt sich letztlich mit demokratischem Grundverständnis.

Sie haben auch über jüdische Remigration geforscht. Was kam dabei heraus?

Erstens kehrten sehr wenige aus dem Exil zurück, nicht mehr als vier Prozent. Und das waren vor allem diejenigen, die eine politische Mission hatten.

die dem linken Spektrum entstammten. Wie wurden sie empfangen?

Sehr häufig unfreundlich. Jüdische Remigranten hatten zu kämpfen mit einer verständnislosen, feindseligen Umwelt. Viele Deutsche sagten: Ihr könnt nicht beurteilen, was hier geschah, denn ihr wart nicht dabei.

Blieben diese Leute dauerhaft isoliert?

Nicht alle. Einige haben später wichtige Positionen eingenommen. Hamburg ist ein besonderes Beispiel mit gleich zwei Bürgermeistern, die emigrieren mussten – die Sozialdemokraten Max Brauer und Herbert Weichmann, der Letztere war Jude. Sie haben allerdings sehr selten öffentlich von ihrem Schicksal als Exilanten gesprochen. Wenn überhaupt, haben sie gesagt: Wir haben Erfahrungen im Ausland gesammelt.

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