Mutproben: Eine Autobiographie: Ole von Beust blickt zurück

Hamburgs früherer Bürgermeister selbst kommt darin gut weg, ebenso die Grünen, die CDU weniger. Ganz schlecht dagegen der einst so hilfreiche Rechtspopulist Ronald Schill.

Der Blick zurück: Der doppelte Ole. Bild: dpa

Den politischen Kunstgriff, das Gegenteil von dem zu meinen, was man sagt, beherrscht Ole von Beust noch immer. „Keineswegs als Notlösung“ betrachtet, schreibt von Beust, habe er seinen Nachfolger als Hamburger Bürgermeister, Christoph Ahlhaus – und erklärt den eben damit zum Notnagel. „Mutproben“ heißt die Autobiographie des Christdemokraten, der am heutigen Freitag 57 Jahre alt wird. Ab Montag ist der 206 Seiten starke Band mit dem Untertitel „Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz“ erhältlich – und der Autor kommt darin besser weg als manche seiner politischen Weggefährten. Oder als die Hamburger CDU: In seiner Partei dürfte Ole von Beust sich mit seinem persönlichen Rückblick kaum neue Freunde machen.

Schwarz-Grün

Eher schon bei den Hamburger Grünen, die von Beust fast überschwänglich lobt. Bei den Koalitionsverhandlungen 2008 habe er „das Leuchten in ihren Augen bewundert“. Für ihn selbst sei Politik damals, nach drei Jahrzehnten als Abgeordneter und Bürgermeister, nur noch Routine gewesen, schreibt von Beust – der „Idealismus der Grünen aber war ansteckend und erfrischend“. Die Verbindung von Ökologie und Ökonomie sowie die Themen Bildung und Integration hätten die Grünen „früher erkannt als alle anderen Parteien“ und „gesellschaftsfähig“ gemacht.

Wurde als Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust am 13. April 1955 in Hamburg geboren.

Ole: Seine Oma nannte den jüngsten von drei Brüdern zunächst "Ole Popp" ("Alte Puppe"), später wurde er nur noch Ole genannt. Mit 19 Jahren ließ er den Vornamen Ole standesamtlich eintragen.

Beruf: Nach dem Jurastudium in Hamburg von 1983 bis 1993 Rechtsanwalt, seit 2010 wieder.

Parlament: Von 1978 bis 2001 Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft, ab 1993 als Fraktionsvorsitzender der CDU.

Senat: Von 2001 bis 2010 Erster Bürgermeister in Hamburg.

Buch: Ole von Beust mit Nahuel Lopez, "Mutproben. Ein Plädoyer für Ehrlichkeit und Konsequenz", Gütersloher Verlagshaus, 208 Seiten, 19,99 Euro, ab 16. April im Handel.

Und in dieser Konstellation habe er „den Zeitpunkt für eine Schulreform gekommen“ gesehen. Die er, im Nachhinein betrachtet, jedoch „besser schon zur Zeit der absoluten Mehrheit begonnen“ hätte, als die CDU von 2004 bis 2008 allein in Hamburg regierte, räumt von Beust ein. Durchaus überraschend: Im Wahlkampf hatten er und die Union für die „Rettung der Gymnasien“ und gegen die „Einheitsschule“ gekämpft. Von Sympathien für längeres gemeinsames Lernen oder eine Primarschulreform, wie sie später mit den Grünen umgesetzt werden sollte, aber am Volksentscheid im Juli 2010 scheiterte, war da nichts zu spüren. So ist seine Einschätzung im Buch wohl eine Frage rückblickender Deutungshoheit.

Bis heute sehe er die schwarz-grüne Koalition als „sehr gelungene Zusammenarbeit, die ein anderes Ende verdient gehabt hätte“, schreibt von Beust. Dass er für dieses Ende verantwortlich ist, gesteht er nicht ein: Mit seiner Entscheidung zum Rücktritt am 25. August 2010 habe er „richtig gelegen“, ist er „nach wie vor überzeugt“. Denn er sei schon länger „recht lustlos“ gewesen.

Auf der Suche nach einem Nachfolger habe er schon Monate vorher „mit drei Leuten außerhalb Hamburgs“ Gespräche geführt, plaudert von Beust nun überraschend aus, ohne allerdings Namen zu nennen: „Alle drei lehnten ab.“ Weshalb die Wahl auf den erwähnten Ahlhaus fiel. Nur drei Monate später platzte Schwarz-Grün, bei der Neuwahl holte die SPD die absolute Mehrheit – und Hamburgs CDU das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte.

Schwarz-Schill

Es war der Rechtspopulist Ronald Schill, mit dessen Hilfe Ole von Beust 2001 Bürgermeister wurde. Er sei davon ausgegangen, dass man „Schill und seine Leute schon in den Griff bekommen würde“, schreibt von Beust nun. Und gesteht ein: „Vielleicht hatte ich mir Schill schöngeredet.“ Denn dass der „Richter Gnadenlos“ eine „tickende Zeitbombe“ war, habe er zu spät erkannt, so von Beust.

Seine politische Bilanz dieser Koalition fällt knapp aus, umso ausführlicher schildert er ihr „Ende mit Schrecken“: Die Nötigung durch Schill, der Beusts angebliche Beziehung zu seinem Studienfreund und Justizsenator Roger Kusch (CDU) öffentlich machen wollte, sei für ihn „eine Frage der Ehre gewesen“, stellt er klar: „Man darf sich niemals erpressen lassen.“

Nicht vorhergesehen habe er, dass er wenige Monate später bei den Neuwahlen mit dem Slogan „Michel. Alster. Ole.“ die absolute Mehrheit holen würde, bekennt von Beust: „Schill war weg, ich war der Drachentöter, der Spuk war vorbei“ – und er selbst auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere.

Schwarz schwul

Auch das unfreiwillige Outing hatte ihm nicht geschadet, im Gegenteil. Er selbst sei der Ansicht gewesen, „dass etwas so Privates wie die eigene Sexualität nicht in die Öffentlichkeit gehört“. Deshalb habe er nie darüber sprechen wollen, auch wenn sein Schwulsein „ein offenes Geheimnis“ war. In der CDU-Führung sei vor seiner erstmaligen Spitzenkandidatur bei der Bürgerschaftswahl 1997 kurz darüber gesprochen worden, ob seine Homosexualität für die Partei „ein Problem darstellen könne“. Die Diskussion, so von Beust im Rückblick, „verebbte sang- und klanglos“.

Schwarz neu

Dieses Schicksal dürfte von Beusts politischen Thesen nicht beschieden sein, mit denen er kaum einen christdemokratischen Stein auf dem anderen lässt: Für die Akzeptanz der Zuwanderungsgesellschaft spricht er sich aus, fordert die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. „Das deutsche Staats- und Ausländerrecht ist eine Blut- und Boden-Geschichte“, die nichts mehr mit der Realität zu tun habe: „In Hamburg etwa leben mehr Muslime als Katholiken.“ Statt sich an einem „verantwortungslosen und unredlichen Brandstifter“ wie Thilo Sarrazin abzuarbeiten, sei Mut zur Integration erforderlich.

In der Bildungspolitik beharrt von Beust auf „Chancengerechtigkeit“ durch längeres gemeinsames Lernen. Zugleich äußert er Zweifel an der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen an den Hochschulen: Diese Reform habe zur „Fixierung auf ökonomische Bildung“ geführt, die er für einen „großen Fehler“ halte. Es gebe zu viele Absolventen, die „kaum mehr soziale Kompetenzen hätten“.

In Frage stellt von Beust nunmehr gar den Konservatismus als solchen: „Konservativ ist letztlich ein Kampfbegriff gegen Veränderung“, schreibt er. Gesellschaftlicher Wandel komme aber „überwiegend durch den technologischen Fortschritt und politisch von links“. Da sei der „originär konservative Anspruch des Bewahrens in Zeiten globaler Veränderungen kaum mehr durchzuhalten“.

Schwarz mutig

Der Buchtitel ist so gesetzt, dass er auch als „Mut proben“ gelesen werden kann. Fast zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik, den er als „großen Zugewinn an Freiheit empfindet“, unterstützt von Beust damit den Kurs des neuen Hamburger CDU-Chefs Marcus Weinberg.

Er will die Hanse-Union nach dem gescheiterten Rechtsschwenk unter Ahlhaus wieder als „moderne und liberale Großstadtpartei“ ausrichten, die „Nachhaltigkeit“ als Synonym für „die Bewahrung der Schöpfung“ deklariert. Von Beust ermuntert seine Parteifreunde, sich die Türen für eine neuerliche schwarz-grüne Regierung offenzuhalten. Das sei „programmatisch richtig“ und „strategisch wichtig“.

Politik erfordere den Mut, schreibt von Beust, „mitunter auch die eigene Klientel zu verärgern“. Er hat das getan – und ist letztlich daran gescheitert. Ob jemand in Hamburgs CDU ihm diese „Mutprobe“ nachmachen will, ist fraglich.

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