„Wir finden überall Spuren dieser Zeit“

VORURTEILE Der Kulturausschuss der Hamburger Bürgerschaft will mit der kolonialen Vergangenheit, genauer: mit geschichtsverfälschenden Denkmälern aufräumen. Das haben die Grünen beantragt

■ 46, Hamburger, freiberuflicher Politikwissenschaftler, Autor und Mitglied im Vorstand des Eine-Welt-Netzwerkes.

taz: Herr Hirschler, ist der Kolonialismus Vergangenheit?

Kurt Hirschler: Man muss zwischen Kolonialgeschichte und Kolonialismus unterscheiden. Die historische Epoche ist vorbei. Wir finden aber überall Spuren dieser Zeit und ihrer geistigen Grundlagen – sei es in Handelsbeziehungen, in den Darstellungen der Medien oder in der Sprache: Wir sprechen von Häuptlingen und reduzieren komplexe Gesellschaften auf „Stämme“.

Haben also alle Europäer Vorurteile?

So würde ich es nicht sagen. Aber Kolonialismus hat Spuren in europäischen, aber auch in afrikanischen Gesellschaften hinterlassen.

Welche Spuren?

Wie werden zum Beispiel Länder des Südens dargestellt? Welche Themen werden aufgegriffen? Die Darstellung außereuropäischer Gesellschaften sagt meist mehr über unsere kolonial geprägten Fantasien aus als über die realen Verhältnisse. Wir reduzieren ganze Gesellschaften auf einzelne Aspekte und blenden dabei die vielen Facetten der Realität aus. Das geschieht stetig – in den Medien, in Kinderbüchern, in Filmen, auf Werbeplakaten. Es ist ein permanentes Grundrauschen.

Wie werden wir diese Wahrnehmung wieder los?

Ob man das loswerden kann, weiß ich nicht. Wichtig ist ein konstanter selbstkritischer Prozess. Man muss sich immer wieder selbst hinterfragen, sich bewusst machen, wie man eigentlich denkt.

Diesbezüglich hat Hamburg laut Grünen-Fraktion viel falsch gemacht.

Es wurde zumindest vieles sehr ungeschickt gemacht. In Hamburg erleben wir eher einen positiven Bezug auf die koloniale Vergangenheit. Es werden Plältze nach Vasco da Gama benannt und nach anderen Leuten, die eine sehr fragwürdige Rolle gespielt haben. Das ist ein naives, nahtloses Anknüpfen an eine Vergangenheit, die, weiß Gott, nicht nur positiv war. Es scheint keine Reflexion stattzufinden. Und aus der Städtepartnerschaft mit Dar es Salaam in Tansania gehen unter anderem Broschüren hervor, in denen steht, dass „die Afrikaner“ besser tanzen können. Hier wird rassistischer Unsinn nicht reflektiert, sondern verfestigt.

Auf was muss der Kulturausschuss jetzt achten?

Man sollte auf den Erfahrungsschatz der vielen Initiativen zurückgreifen, die zu dem Thema arbeiten. Wichtig ist ein offener, kolonialismuskritischer, transparenter und partizipativer Prozess. Es muss für die Initiativen möglich sein, ihn mitzugestalten. Dieser stetige Prozess muss in Schulen stattfinden, der muss in der Gesellschaft stattfinden und natürlich auch im öffentlichen Raum.

INTERVIEW: TIMO ROBBEN