Urlaub in polnischen Wäldern

BERLIN BIENNALE Alles sah aus wie ein echter Kongress, doch es war eher ein Labor der Ideen: Die israelische Künstlerin Yael Bartana simuliert politische Bewegungen als Kunstprojekt

Abends vergnügten Bands mit halbtraditionellen Sounds und Texten auf Hebräisch, Englisch, Jiddisch oder Deutsch, und alle Teilnehmer tanzten

VON SOPHIE JUNG

Sie könnte missverstanden werden, Yael Bartanas seltsame Ästhetik, mit der sie an diesem Wochenende im Hebbeltheater den weltweit ersten Kongress des Jewish Renaissance Movements in Poland, kurz JRMiP, ankündigte. Befremdend für das Berliner Straßenbild machten rote Fahnen mit dem Emblem der Bewegung, ein Hybridsymbol aus dem polnischen Adler und dem Davidstern, an der Fassade des Hebbeltheaters auf den Kongress aufmerksam. Der Eingangsbereich war ganz in einem tiefen Rot erleuchtet, die Nationalflaggen Polens und Israels, die europäische Flagge und die des JRMiP säumten die Türen. Unübersehbar war das Gemälde des Gründers und Visionärs der Bewegung, mit Hornbrille und weißem Hemd als junger Intellektueller identifizierbar im heroischen Stil des sozialistischen Realismus. Infostände mit Publikationen und Plakaten luden zum Beitritt in die Bewegung ein.

Im Rahmen der 7. Berlin Biennale kamen Delegierte des Jewish Renaissance Movement in Polen ins Hebbeltheater und gingen für drei Tage der Frage nach, unter welchen Bedingungen 3,3 Millionen Juden aus Israel wieder in das Heimatland ihrer Vorfahren, nach Polen, umgesiedelt werden könnten. Der Kongress und seine Forderungen sind nur fiktiv, das JRMiP ist ein Projekt der Künstlerin Yael Bartana. Niemals hat es wirklich den polnischen Führer der Bewegung gegeben – der Linksintellektuelle Slawomir Sierakowski stand Pate für das Gemälde in der Lobby. All die Insignien, die Fahnen, Plakate und Manifeste sind Teil eines Kommunikationsdesigns, mit dem die Künstlerin eine politische Bewegung lediglich simuliert. Dennoch ist der Kongress kein reines Spiel mit Fiktionen, er ist ein ernsthaftes Gedankenexperiment, mit dem Bartana und ihre Mitstreiter versuchen, das politische Leben in der EU neu zu reflektieren.

Eine Umsiedlung von 3,3 Millionen Juden nach Polen ist eine absurde Forderung, zu der Bartana selber wohl einmal die Bemerkung gemacht habe, dass sie bitte nicht ernsthaft umgesetzt werden solle, doch sie gibt einen Anstoß, aus dem greifbare Vorschläge und Reflexionen hervorkommen können. Während des Kongresses entwickelten Bartanas Aktivisten und Zuschauer zusammen aus einer wilde Melange aus Spinnereien und seriösen Forderungen eine zukünftige Agenda des JRMiP. Ganz nach einem basisdemokratischen Prinzip mit allerlei Redeprozeduren und Abstimmungen wurde dann entschieden, ob eine Sprache von Flüchtlingsgruppen als offizielle Sprache in Europa gelten sollte, ob Minderheiten besser in den Medien repräsentiert werden sollten, ob es ein permanentes Nürnberger Gericht nach Beispiel der Entnazifizierung geben oder aber gar ein Mindestkonsum von Magic Mushrooms staatlich verordnet werden sollte.

Der Ton aus Spaß und Ernsthaftigkeit zog sich durch die gesamte Veranstaltung. Am zweiten Tag stellten die Delegierten Magdalena Walligorska und Erika Lahrer ihre Forderung vor, eine staatlich finanzierte Jugendreise für Israelis nach Polen in die Agenda des JRMiP aufzunehmen. Ganz im Stile der „Birthride Israel“ Trips, die jungen Juden aus verschiedenen Ländern ermöglicht, Stätten des heiligen Landes zu besuchen, sollten dann Israelis in polnischen Wäldern kampieren. Das verwirrte eine Zuhörerin, die erwiderte, dass Juden doch eher zu Kaffee und Städten tendierten und in Wäldern nicht ihre Urlaubserfüllung fänden. Eine mit Humor zu betrachtende Randbemerkung, die aber zugleich eine grundsätzliche Diskussion über unser Bild vom Fremden entfachte. Denn dabei bestehe oft die Gefahr, eine Selektion zwischen dem „guten Fremden“ und dem „schlechten Fremden“ zu betreiben.

Mit Vorurteilen und Stereotypen zu konfrontieren war Teil der Veranstaltung. Abends vergnügten Bands mit halbtraditionellen Sounds und Texten auf Hebräisch, Englisch, Jiddisch oder Deutsch, und alle Teilnehmer tanzten, selbst der etwas verknöcherte Marc Siegel.