GESPRÄCHSFÜHRUNG UNTER ZUGEZOGENEN
: Worüber man redet bei Ochsenschwanz-Wantans

Von Dirk Knipphals

WESTWÄRTS HO!

Ein Geburtstagsessen. Zwölf Leute und ein mitgebrachtes Baby auf dem Schoß, das erst mal doch noch nicht nebenan schlafen wollte, in einer dieser Westberliner Wohnungen mit schwindelerregender Deckenhöhe. Das Improvisierte ist bei solchen Gelegenheiten immer sehr nett. Natürlich hat niemand einen Tisch für so viele Menschen. Also stellt man den ausgezogenen Esstisch und einen Schreibtisch aneinander und hofft, dass sie ungefähr die gleiche Höhe haben. Hatten sie in diesem Fall. Tischdecke drüber, fertig.

Wirklich irre übrigens, wie viel Festlichkeit weiße Tischdecken vermitteln. Als Vorspeise gab es Ochsenschwanzsuppe mit selbstgemachten Ochsenschwanz-Wantans. Und man redete und konversierte dann halt angeregt mal über den Tisch mit der Gastgeberin und sonst mit seinen Tischnachbarn. Und irgendwann sagte eine Frau, gar nicht gehässig, eher wirklich ein bisschen verwundert in die Runde: „Wie seltsam eigentlich. In Berlin redet man immer nur über Berlin. Das ist in keiner anderen Stadt so, glaube ich.“

Sie hatte absolut recht. Wir hatten wirklich nahezu ausschließlich über Berlin geredet. Ob man noch in Mitte wohnen könne. Ob der Wedding-Hype jetzt doch noch komme. Wie lange der Berlinboom nun schon vorbei sei. Ob Berlin wirklich eine Metropole werden müsse. Solche Sachen. Und was auch stimmte: In Hamburg redet man eigentlich nie über Hamburg. Vielleicht übers Wetter, vielleicht über die Elbphilharmonie, in anderen Kreisen wahrscheinlich auch übers Geldverdienen, aber nie über Hamburg. Und in München, Köln, Bielefeld, Dresden, Frankfurt, Rothenburg ob der Tauber – es kommt bei so einem Geburtstagstreffen in Berlin halt ein buntes Volk zusammen – redet man auch nicht über die jeweilige Stadt, wie die jeweils dort Geborenen bestätigten. Nur Raymond, der aus den USA kam, meinte, also in New York würde man dann und wann schon über New York reden.

Warum ist das so? Das ist natürlich die Frage, die man sich als Berlinkolumnist dann gleich stellt. Die erste Vermutung liegt ja nahe: Man redet in Berlin deshalb so viel über Berlin, weil in Berlin auch so viel los ist. Eine Hauptstadt im Werden. Zwischennutzung hier, Zwischennutzung da. Ständige Umdefinitionen, was angesagt ist, was nicht. Viele Szenen in ständiger Bewegung– von Kunst über Techno bis zu „von allem ein bisschen, aber eigentlich weiß ich selbst noch nicht, was aus mir werden soll“. Und immer was zu gucken: Schließlich gibt es ganze Stadtteile, die innerhalb von ein, zwei Jahren ihr Grundgefühl einmal umstülpen können. Klar, Themen wirft Berlin immer ab.

Aber beim Weiterreden kamen wir darauf: Das ist es nicht nur. Die thematische Berlinzentrierung hat auch etwas damit zu tun, dass alle Zugezogene waren.

Außer vielleicht in manchen Ecken Charlottenburgs gibt es noch keine zusammengewachsenen bürgerlichen Strukturen. In Hamburg sitzen bei solchen Gelegenheiten immer Menschen mit am Tisch, die schon zusammen auf derselben Schule gewesen waren. In Köln waren sogar schon die jeweiligen Eltern zusammen im gleichen Karnevalsverein. Das erleichtert Gesprächsanbahnungen à la „Wisst ihr noch, damals …“ oder „Wisst ihr schon, Klaus und Anna haben sich getrennt?“. Der für spezifischere Gesprächsführungen benötigte Horizont des gemeinsam geteilten Hintergrundwissens ist da einfach weiter.

In Berlin dagegen kann man auf solche Klatschbeziehungen nicht zurückgreifen. Vielmehr muss man aus dem Stand ein Thema finden. Und sich nur über die Documenta oder über den Abschied von Matthias Lilienthal zu unterhalten ist auch nicht abendfüllend, selbst unter Kulturinteressierten. Das Thema Herkunft kann auch keine Rolle spielen, wenn alle von woanders her kommen. Da ist es das Einfachste, etwas zu nehmen, bei dem alle mitreden können: Berlin halt. Zum Hauptgang gab es Lammkeule in der Niedrigtemperaturmethode.