Verschrottete Vergangenheit

MINIMAL ART Der Spanier Fernando Sánchez Castillo hat die Freizeityacht des ehemaligen Diktators Franco zerlegen und zu Würfeln pressen lassen

Der Skandal war perfekt, als der Sozialist Felipe Gonzáles die Yacht für einen Atlantik-Törn nutzte

Einige Kubikmeter Stahlschrott stehen augenblicklich in der Remise des Braunschweiger Kunstvereins. Die Bleche sind sorgfältig gepresst und zu Quadern portioniert, hier hat ein Entsorgungsbetrieb präzise Arbeit geleistet. Oder, um im Kunstkontext zu bleiben: Der ausstellende Künstler, Fernando Sánchez Castillo aus Madrid, hat sich offensichtlich für eine sehr ruppige und schwergewichtige Variante der Minimal Art entschieden. Im Raum stehen aber auch noch zwei maritime Polleranlagen und ein größeres Stück verwitterten Blechs – der Name Azor, zu Deutsch Habicht, als Relief eingeprägt. Man fragt sich somit: was hat der Spanier da verarbeitet? Und warum?

Es ist nichts weniger als die Freizeityacht des ehemaligen spanischen Militärdiktators Francisco Franco, der das Land ab 1939 bis zu seinem Tode im Jahr 1975 mit äußerster Härte regierte. Dem Sohn einer stolzen Seefahrernation diente das Schiff auch als politische Bühne: Staatsgäste wurden empfangen, wichtige Unterredungen fanden statt, der designierte Thronfolger von Francos Gnaden, Juan Carlos, weilte schon als Jugendlicher an Bord.

Das Ableben Francos warf in der sich konstituierenden Demokratie Spaniens die heikle Frage nach dem Umgang mit diesem politisch kontaminierten Zeugnis spanischer Geschichte auf. Die Yacht verschwand erst einmal im Staatseigentum, blieb aber Teil des kollektiven Gedächtnisses der Nation. Ihre Existenz wurde Symbol einer eher verdrängenden denn analysierenden Aufarbeitung des Schreckensregimes.

Der Skandal war perfekt, als Spaniens sozialistischer Regierungschef Felipe Gonzáles im Sommer 1985 die Yacht mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten für einen gemeinsamen Atlantik-Törn nutzte. Diese Instinktlosigkeit zwang die Regierung zu handeln: Das Schiff wurde versteigert unter der Maßgabe, dass der Käufer es zu verschrotten habe. Ein neuer Besitzer unterlief jedoch die Auflage, er integrierte das Schiff in einen Motel-Komplex, versuchte, es als Tagungsort und franquistische Pilgerstätte zu etablieren – jedoch erfolglos.

Schließlich erwarb Fernando Sánchez Castillo 2011 die Devotionalie. Nach seinem künstlerischen Konzept ließ er das Schiff in Handarbeit zerlegen. Ein kleiner Trupp werkelte als destruktive Performance mit Schneidbrenner und Flex. Zum Schluss brachte ein martialischer Greifer deutscher Fabrikation die Einzelteile zur Schrottpresse. Die Aktion ist in einem gut halbstündigen Video festgehalten. Ein weiterer Film zeigt kommentierte Dokumente der Franco-Ära: Marineparaden, harmlos Familiäres an Deck und den senilen Generalissimo beim Harpunieren.

Mit diesem vielteiligen, sowohl erzählerischen wie auch konzeptionellen Duktus seiner Arbeit folgt Fernando Sánchez Castillo, 1970 in Madrid geboren, international und interdisziplinär ausgebildet, einer Form politischer Kunst, die für seine Generation charakteristisch zu sein scheint. Nicht Agit Prop oder der moralisierende Fingerzeig sind deren Markenzeichen.

Als Gegenmodell zu einer objektivierenden Geschichtsschreibung nähert sich diese Kunst ihrem Gegenstand über entlegene Spuren oder stellvertretende Artefakte, die als pars pro toto komplex ausgedeutet werden. Das Ganze geschieht mit emotionaler Distanz, einer Portion Humor und der Einsicht in das immerwährende menschliche Versagen.BETTINA MARIA BROSOWSKY

Fernando Sánchez Castillo: „Guernica Syndrome“ / „The Last Trips of Francisco Franco’s Ship“, bis zum 6. August, Remise Kunstverein Braunschweig