Der Pelikan im Café Aristoteles

KOMÖDIE In „Ein Griechischer Sommer“ erzählt Olivier Horlait sachte und beschaulich von der Freundschaft zwischen einem Jungen und einem Pelikan

Es hat schon einen seltsamen Beiklang, wenn hier ein Touristenboom durch einen einzigen Pelikan ausgelöst wird

VON WILFRIED HIPPEN

Dass Griechenland auch ein Sehnsuchtsort ist, kann man bei den täglichen Nachrichten über den faktischen Niedergang des Landes schnell vergessen. Doch in Liedern, Romanen und Filmen wurde und wird immer noch gerne das idyllische und sonnendurchflutete Leben auf griechischen Inseln besungen – meist von Mittel- und Nordeuropäern wie etwa dem Briten Louis de Bernières in dem Roman „Corellis Mandoline“, der ja auch mit viel mediterranem Lokalkolorit und Nicolas Cage als romantischem Helden verfilmt wurde.

Bei „Ein Griechischer Sommer“ hat schon der Titel die vom Verleih intendierte Signalwirkung. Der französische Originaltitel „Nicostratos le pélican“ wäre wörtlich übersetzt wohl zu sperrig und kryptisch gewesen, aber subtil kann man die deutsche Lösung auch nicht gerade nennen. Die literarische Vorlage schrieb der Franzose Eric Boisett im Jahr 1998 – da war die ägäische Inselwelt noch in Ordnung. Aber heute hat es schon einen seltsamen Beiklang, wenn hier in einem Inseldorf ein Touristenboom nur dadurch ausgelöst wird, dass dort ein Pelikan von einem vierzehnjährigen Jungen großgezogen wird.

Diese tröstlich einfache Geschichte wird hier schön sachte und beschaulich erzählt: Yannis lebt auf der kleinen Insel Zora alleine mit seinem Vater, einem Fischer, der sich nach dem Tod der Mutter in einen Griesgram verwandelt hat, den der Junge fürchtet, auch wenn er nie von ihm geschlagen wird. Durch eine zärtliche Geste der beiden (sie reiben ihre Köpfe gegeneinander) wird von Anfang an deutlich gemacht, dass dieser Mann nichts Böses tun könnte. So ist es eher drollig als spannend, wenn der Junge in dem abgeschiedenen Fischerhaus der beiden ein Pelikan-Küken versteckt und aufpäppelt, das er bei einem groben Kapitän gegen das goldenen Kreuz seiner Mutter eingetauscht hat. Dies darf der Vater auf keinen Fall erfahren, aber der weise Pope des Dorfes ist der einzige Vertraute des Jungen und er beruhigt diesen: Etwas Lebendiges ist immer wichtiger als ein Ding.

So kümmert sich Yannis um das Waisentier, dem er den Namen Nicostratos gibt, beschützt ihn vor der eifersüchtigen Familienziege und bringt ihm das Fliegen bei. Bald scheint sein Vater der einzige zu sein, der das Tier noch nicht über die Postkartenansichten der Insel hat segeln sehen und so kommen auch bald die Touristen und zahlen für ein Foto mit dem zutraulichen Exoten. Der Mikrokosmos Insel wird vom Regisseur Olivier Horlait mit wenigen, dafür aber prägnanten und skurrilen Figuren bevölkert. Der großväterlich wirkende Priester Kosmans ist ein Radsportfanatiker und treibt seine Schar Mönche dazu an, möglichst rasant mit ihm über die Insel zu radeln. Der Bistrobesitzer Aristoteles ist ein geschickter Kaufmann und weiß, wie man mit dem Pelikan Profit machen kann. Seine aufgeweckte Nichte Angeliki ist schließlich für den Sommer aus Athen auf die Insel gekommen und natürlich verliebt sich Yannis in sie.

Eine Herausforderung für Olivier Horlait bestand darin, dass Pelikane keine besonders ausdrucksstarke Tiere sind, die zudem nur sehr begrenzt dressiert werden können. So sieht man den Vogel meist fliegen und möglichst nah an den Protagonisten herum watscheln. Er gestattete höchstens mal eine Umarmung durch den Hauptdarsteller Thibault Le Guellec, aber größere Menschenansammlungen verschreckten ihn offensichtlich, und so ist er merkwürdigerweise beim großen Dorffest, als dessen Überraschungsgast er präsentiert werden soll, nur in wenigen, sehr kurzen Einstellungen zu sehen.

Bei den Familienszenen dreht der Film immer leicht in Richtung Loriot-Sketch ab. So spielen Herbert Knaup und Leslie Malton eher die Parodie eines westdeutschen Wohlstandspaares und ein anderes Elternpaar sorgt für das große Drama, wenn es plötzlich vor den drei Kindern verkündet, es habe nur ihnen zuliebe so lange zusammengelebt und würde sich nun endlich scheiden lassen.

Aber der eigentlich seltene Vogel dieses Films ist Emir Kusturica in der Rolle des Vaters Demosthenes. Der Serbe wurde in den 80er Jahren mit seinen Filmen „Papa ist auf Dienstreise“ und „Zeit für Zigeuner“ zum Kultregisseur und hat seit seiner Dokumentation über den argentinischen Fußballer Diego Maradona im Jahr 2006 keinen Film mehr in die Kinos gebracht. Er hat immer auch schon als Darsteller in Filmen und Fernsehserien gearbeitet, doch dies ist bisher seine erste große Rolle. Er ist ein überzeugender griechischer Fischer und Vater, nur seine Präsenz erinnert ständig daran, dass es ein anderes, nicht so harmloses Kino gibt. Wie würde der Film wohl aussehen, wenn er auch die Regie geführt hätte?