Recycling: Requisiten fürs Volk

Was früher im Container landete, findet eine Heimat im Hamburger Oberhafen: In der „Hanseatischen Materialverwaltung“ können Künstler, Schulen, Filmproduktionen künftig gebrauchte Requisiten ausleihen. Mit etwas Glück sogar umsonst.

Noch im Dämmerlicht: Von der Fahrradkutsche bis zum Pinsel kann der Filmfreund alles in der Hanseatischen Materialverwaltung ausleihen. Bild: Miguel Ferraz

In der Lagerhalle hinter Tor 16 im Hamburger Oberhafenquartier ist es kalt. Es gibt keine Heizung, die Deckenleuchten fehlen auch noch. Es wirkt ein wenig wie in einem verlassenen Baumarkt-Lager. An der Wand stehen hohe Metallregale, die mit alten Lampen, Werkzeug oder Kaffeekannen gefüllt sind. Oben auf dem hohen Metallgerüst in der Mitte der Halle gibt es Sitzgelegenheiten für die Presse. An einem kleinen Beistelltisch serviert ein junger Mann mit Dreitagebart in Weste und Fliege Kaffee. Ein Journalist beißt aus Versehen in eine Holz-Stulle. Nicht jeder kommt mit Kunst zurecht.

Es ist die Stunde der Superlative, der Tag, an dem Hamburg ein bisschen New York wird: Die Stadt hat jetzt nämlich als erste in Europa einen Fundus, der Requisiten und Kulissenteile vermittelt. Was in New York „Material for the Arts“ heißt, gibt sich in Hamburg etwas nüchterner als „Hanseatische Materialverwaltung“, kurz HMV. Was bisher nach Drehschluss in Müllcontainern verschwand, wird künftig auf 600 Quadratmetern aufbewahrt und ausgeliehen.

Zugute kommen sollen sie Kultureinrichtungen, Schulen, Künstlern, aber auch Filmproduktionen. Die Nutzer werden in drei Kategorien eingeteilt. In der ersten Gruppe landen förderungswürdige Nutzer, in der zweiten sind bedingt förderungswürdige Ausleiher und die dritte Gruppe machen kommerzielle Nutzer aus. Die Einschätzung, in welche Gruppe ein Materialanwärter fällt, wird von der HMV übernommen. Je nach Zuordnung schwankt dann auch der Preis für die Nutzung der Requisiten. So kann es sein, dass eine Schule Material kostenfrei bekommt, eine Werbefirma aber den vollen Preis zahlen muss. Letzteres sollte aber immer noch günstiger sein, als Requisiten neu zu kaufen.

Die Idee hatten zwei Künstler zeitgleich – und unabhängig voneinander. „Wir beide kamen erstaunlicherweise beide schon 2008 auf diese Idee“, sagt Petra Sommer. Die 42-Jährige ist seit Mitte der 90er-Jahre im Bereich Bühnenbild und Ausstattung tätig und arbeitete von 2004 bis 2010 für eine Werbefilmproduktion: „Dort gibt es unglaublich hohe Budgets und massenweise Verschwendung von Materialien. Ich konnte nicht fassen, dass nach den Drehs vieles einfach weggeworfen wurde.“

Im Dezember 2011 lernte sie Jens Gottschau kennen. Der 31-Jährige machte 2008 seinen Abschluss als Illustrator und Kommunikationsdesigner an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Zusammen bewarben sie sich mit ihrer Idee bei der Ausschreibung zur Nutzung der Lagerhalle im Januar 2012 und gewannen.

„Ursprünglich war ein Abriss mit Neubau vorgesehen“, sagt Giselher Schultz-Berndt, Geschäftsführer der Hafencity Hamburg GmbH. Jetzt will er die alten Lagerhallen doch lieber erhalten. Insofern könnte man sagen, dass der Fundus im Oberhafen selbst ein Beispiel ist für einen Weiter- und Neugebrauch – in Hamburgs Stadtbaukultur nicht unbedingt die Regel.

So freut sich Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos), dass ein solches Projekt ein „Umdenken in unserer Wegwerfgesellschaft“ fördere und hofft, dass „die Idee Schule macht“. Die Stadt finanziert das Projekt denn auch mit 170.000 Euro in den ersten zwei Jahren. Und die Senatorin ließ verlauten, dass „wir mal sehen werden, was man nach den zwei Jahren finanziell noch machen kann“. Und, für die Berlinkomplex-geplagten Hamburger mindestens so interessant: die Hauptstadt, so erklärt Frau Kisseler, habe schon angeklopft.

Derzeit dient das Gelände noch logistischen Zwecken, noch fahren Züge übers Gelände, ein Güterbahnhof ist auch noch dort. Das alles soll in Zukunft jedoch weichen. Die Mietverträge der industriellen Mieter werden nicht verlängert. Der Vertrag mit dem größten Mieter, der Transa Spedition GmbH, läuft zum Jahresende aus. Dann werden etwa 8.000 Quadratmeter frei. Insgesamt sind es rund 25.000 Quadratmeter im Oberhafenquartier, die nach und nach für künstlerische Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Im Sommer 2014 sollen weitere Nutzer einziehen können.

Für die HMV geht es schon am Montag los, dann wird das Tor 16 zum ersten Mal für Interessenten geöffnet. „Wir fangen erst mal an und müssen ein paar Erfahrungen sammeln“, so Initiator Jens Gottschau. Ein Online-Katalog ist geplant, damit man gemütlich übers Internet einsehen kann, was aktuell in den Regalen der HMV herumliegt. Ebenso planen die Akteure ein Vermittlungssystem, über das die Requisiten direkt von den Vorbesitzern an die Nutzer weitergegeben werden, ohne dass sie in der Halle im Oberhafen zwischengelagert werden müssen.

Solch eine Direktvermittlung wird die Materialverwaltung wohl auch brauchen, denn bereits vor der eigentlichen Eröffnung scheinen die Regale schon übervoll zu sein. „Wir müssen schauen, wie viel wir annehmen können“, erklärt Petra Sommer. „Unser Angebot wird nach Bedarf geregelt. Es soll alles vorhanden sein: große Requisiten genauso wie Werkzeug, Pinsel und Farbe.“

Für Jens Gottschau steht aber erst einmal die Finanzierungsfrage an: Das Projekt benötige neben der Stadt Hamburg weitere Investoren. Steht die Finanzierung, kann es aber auch mit einer Expansion weitergehen, so hoffen Sommer und Gottschau. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik. Viel aktueller ist dagegen, was Barbara Kisseler in ihrer Freude über das Projekt verlauten lies. Deren Euphorie ging zwischenzeitlich sogar den Initiatoren der Materialverwaltung zu weit – Cosmic DJ stoppte die Senatorin, als sie im Begriff war zu erwähnen, dass die HMV dieses Jahr einen sehr, sehr, sehr wichtigen Preis des Kulturstaatsministers Bernd Neumann gewinnen wird.

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