Ein Hauch von Olympia im Grunewald

Berlin war einmal ein Zentrum für die nordischen Disziplinen. Olympiasieger trainierten hier, und bis 1970 flogen am Teufelsberg Skispringer über den Bakken. Ohne die Familie Tornow gäbe es dieses historische Kapitel nicht

„6.000 wintersportfreudige Zuschauer erlebten dies außergewöhnliche Sportereignis am Rande des Grunewalds.“ Im Tagesspiegel vom 6. November 1962 ist ausführlich über das erste Mattenskispringen auf der Schanze am Trümmerberg, wie der Teufelsberg damals noch genannt wurde, berichtet worden. Die Morgenpost war ähnlich begeistert und hat mehr als 7.000 Zuschauer gezählt bei diesem wohl größten Skisprungereignis, das je in Berlin stattgefunden hat. Mit Georg Thoma war ein leibhaftiger Olympiasieger am Start. Der Gewinner der Goldmedaille in der Nordischen Kombination bei Olympia 1960 in Squaw Valley sprang bei der Einweihung der Mattenschanze 37 Meter weit und wurde Dritter. Doch das Springen von 1962 war keine Eintagsfliege.

Schon seit den 20er-Jahren gingen tollkühne Männer in Berlin über die Bakken. Die erste Schanze stand bei Onkel Toms Hütte. Sie ließ Sprünge zwischen 10 und 15 Metern zu. An den ersten Wettbewerben nahm ein gewisser Helmut Tornow vom Skiclub SC Pallas teil, ohne den die Geschichte des nordischen Skisports in Berlin um ein Kapitel ärmer wäre. Als Sportler oder Veranstalter – er hat an allen Berliner Skisprungveranstaltungen federführend mitgewirkt.

1932 wurde eine neue Schanze am Postfenn im Grunewald errichtet. Tornow war es, der die freiwilligen Helfer zusammengetrommelt hatte und so den Neubau ermöglichte. In den 30er-Jahren wurden Weiten von bis zu 31 Metern erzielt. Hajo Achtert, Kassenwart beim SC Pallas, hat Dokumente und Bilder aus der Berliner Sprunglaufgeschichte gesammelt. Er erzählt, dass die norwegische Springerlegende Birger Ruud in Berlin trainiert habe, bevor er bei den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen zum zweiten Mal olympisches Gold gewonnen habe. Nicht nur einmal also hat ein Hauch von Olympia die Berliner Schanzentische umweht.

Nach dem Krieg wurde der Trümmerberg am Teufelsee aufgeschüttet. Helmut Tornow setzte alle Hebel in Bewegung, damit an dem damals noch kahlen Hügel eine Schanze errichtet werden konnte. 1955 wurde dann die kleine Schanze eröffnet. Peter Tornow, der Sohn des Metallbauunternehmers Helmut, machte auf der neuen Anlage im Alter von acht Jahren seine ersten Sprünge. Er war über Jahre einer der besten Springer Berlins. Dreimal wurde er Stadtmeister, einmal sogar zu einem Lehrgang der Nationalmannschaft eingeladen. Wann immer die Anlage am Teufelsberg erweitert wurde, Tornow ging in die Anlaufspur. Er war dabei, als 1962 die große Schanze eröffnet wurde. Seine Bestleistung auf der 1965 nochmals erweiterten Berliner Anlage beträgt 58 Meter, nur drei Meter unter dem Schanzenrekord.

Die 60er-Jahre waren wohl die Blütezeit des Sprunglaufs in der Mauerstadt. Zum Pfingstspringen auf Kunststoffbelag reisten regelmäßig die Nationalmannschaften der ČSSR und der Bundesrepublik an. Mehrere tausend Zuschauer besuchten die Wettbewerbe. Doch schon 1970 war es aus mit der Skisprungherrlichkeit in Berlin. „Es hat immer weniger Schnee gegeben“, meint Peter Tornow, außerdem habe sich kaum Nachwuchs gefunden. 1970 starb zudem sein Vater, der wichtigste Förderer des Skispringens in Berlin.

„Natürlich werde ich vor dem Fernseher sitzen.“ Peter Tornow ist im Olympiafieber. Er wird heute Nachmittag Hanni und Co. beim Mannschaftsspringen die Daumen drücken. Hätte es seinerzeit Skispringer mit Hannawald’scher Popularität gegeben, sie stünden wohl noch, die Berliner Sprungschanzen. „Eine 50-Meter-Schanze würde ich auch heute noch jederzeit runterfahren“, sagt der inzwischen 55-jährige Tornow junior. Schade, dass er es nicht mehr beweisen kann.

ANDREAS RÜTTENAUER