Ringen im magischen Viereck

Der Türkische Ringerverein Berlin will mit dem Militärweltmeister Bülent Dagdemir „als erster Migrantenverein in Europa“ in die erste Bundesliga aufzusteigen. Trotz Geldnot

Der Kampfrichter spielt eine wichtige Rolle beim Ringen. Er entscheidet über die Punktzahl für eine gelungene Aktion und darüber, ob sie noch auf der Matte stattgefunden hat. Er bewertet die Aktivität der Kämpfer. Wer zu passiv agiert, muss von der Bodenlage aus weiterkämpfen. Dafür bekommt der Schiri in der zweiten Ringerbundesliga eine kleine Aufwandsentschädigung: die Fahrtkosten.

Beim Kampf des Türkischen Ringervereins Berlin (TRV) gegen Germania Potsdam waren für den Unparteiischen, der aus Nordrhein-Westfalen angereist war, 230 Euro fällig. Bezahlt werden muss dieser Betrag vor Beginn der Veranstaltung vom gastgebenden Verein. Weil dieser Betrag für die Berliner eigentlich zu hoch war, wäre dem Punktrichter am Samstag beinahe schon vor dem ersten Kampf eine entscheidende Rolle zugekommen. Kommt der Unparteiische aus der Region Berlin-Brandenburg, was normalerweise der Fall ist, fallen Kosten von etwa 150 Euro an. Auf mehr waren die Berliner nicht eingestellt. Wegen eines Betrags von 80 Euro also hätte die Begegnung beinahe abgesagt werden müssen. Die Punkte wären dann an die Gäste gegangen. Einer der Kleinsponsoren des TRV war dann doch noch rechtzeitig dazu zu überreden, den Unparteiischen auszuzahlen. Es konnte gerungen werden.

Zu Beginn musste der erst 17-jährige Erhan Pekcan für die Gastgeber auf die Matte. Er hatte bei seinem ersten Bundesligaauftritt in der Kategorie bis 55 Kilogramm keine Chance. „In den unteren Gewichtsklassen haben wir ein Problem“, erklärt Ismail Bilali, der Manager der Berliner: „Unser Nachwuchs ist noch nicht so weit.“ Jahrelang hat der Verein von den Kämpfern, die aus der eigenen Jugend hervorgegangen sind, gelebt. Doch plötzlich fehlen die Talente. Lediglich 10 Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren trainieren in der Jugendabteilung. Dass Ringen in der Türkei immer noch eine der populärsten Sportarten ist, scheint dem Türkischen Ringerverein wenig zu nützen. „Die Kinder wollen Streetfighter werden, dafür eignet sich das Ringen nicht“, erklärt Axel Rauscher, Geschäftsführer und Mädchen für alles beim TRV. „Wir sind eine Randsportart“, stellt Rauscher deprimiert fest.

Auch Bülent Dagdemir klingt leicht resigniert, als er nach Ende der Partie sagt: „Die Jungen interessieren sich nur für Fußball.“ Der Modellathlet ist so etwas wie der Star der Mannschaft. Er ist amtierender Militärweltmeister (bis 85 Kilogramm) und gilt in seiner Klasse nach Alexander Leipold als zweitbester Ringer der Republik. Der Verein um den rührigen Manager Bilali hat Dagdemir für diese Saison aus der ersten Liga zurückgeholt in seinen Stammverein, wo er nun wieder Seite an Seite mit seinen Brüdern Hikmet und Sedat ringt. Diese drei bilden zusammen mit Ex-Europameister Mesut Okcu das Gerüst der Mannschaft. Auch Okcu hat sich nach einem leidlich bezahlten Gastspiel in der ersten Liga überreden lassen, nach Berlin zurückzukehren. Denn Bilali hat Großes vor. Er will den TRV in die erste Liga führen, „als ersten Migrantenverein in ganz Europa überhaupt“. Er träumt von 2.000 Zuschauern, von südländischer Stimmung, von der ganz großen Zukunft.

Am Samstag feuerten etwas mehr als 100 Zuschauer ihre Mannschaft in der Louise-Schröder-Sporthalle in Wedding an. Der Rückhalt in der türkischen Migrantengemeinde hält sich in Grenzen. Auch die türkischstämmigen Mittelständler halten sich mit ihrem Engagement zurück. Das liegt auch daran, dass der Verein zur DiTiB gehört, der Türkisch-islamischen Union der Anstalt für Religion, eines religiösen Vereins, der etwa 600 Gemeinden in Deutschland mit 200.000 Gläubigen betreut. Viele potenzielle Sponsoren würden, so Geschäftsführer Rauscher, den Verein mit dem Argument, doch schon für die DiTiB gespendet zu haben, nicht unterstützen. Weil auch die DiTiB selbst ihre Förderung eingeschränkt hat, werden Bilalis Visionen so schnell wohl nicht Realität.

Am Ende des Kampfabends vom Samstag herrschte selbst beim Vorzeigepessimisten Rauscher gute Stimmung. Vor allem dank der Leistung des magischen Vierecks, das die Gebrüder Dagdemir zusammen mit Mesut Okcu bilden, wurde Germania Potsdam klar mit 20,5:8 Punkten besiegt. Das Ziel, am Ende unter den ersten drei Plätzen in der Tabelle zu stehen und um den Aufstieg mit ringen zu können, scheint erreichbar. Ob der Verein die Runde finanziell überstehen wird, ist dagegen noch nicht abzusehen. ANDREAS RÜTTENAUER