lost in lusitanien
: Wie Scolari zu Henry Fonda wurde

MATTI LIESKE besucht ein Konzert des ewigen Filmmusikers Ennio Morricone und macht den Fußball zu großem Kino

Der kleine grauhaarige Mann, der auf der Bühne des Anfiteatro do Keil steht und mit energischen Bewegungen sein Orchester dirigiert, hat ungefähr eine genauso lange Schaffensgeschichte wie Otto Rehhagel. Die des Fußballtrainers reicht vom Verteidigerposten bei Hertha BSC bis zur Anstellung als Fußballgott in Griechenland, die des Komponisten von „Für eine Handvoll Dollar“ bis „Kill Bill“. Der Mond scheint sanft auf die in einer Niederung des Berges Monsanto im Westen Lissabons gelegene Freiluftarena und fast jedes Musikstück, das gespielt wird, kommt einem irgendwie bekannt vor. Ennio Morricone ist auf der von einer Glaskuppel überdachten Bühne noch einmal durch eine Glaswand vom Publikum getrennt. Ob jemand fürchtet, Clint Eastwood könnte aus dem Hinterhalt auf ihn schießen, das Publikum würde – wie in der Country-Kneipe bei den Blues Brothers – heiße und fettige Gegenstände auf den Dirigenten werfen oder ob einfach das Wegfliegen der Notenblätter durch den frischen Abendwind verhindert werden soll, ist nicht abschließend zu klären.

Bei der Europameisterschaft gibt es nicht nur Sport, sondern, selbst wenn es die meisten Fußballfans nicht bemerkt haben, auch ein kulturelles Rahmenprogramm. Und zwar nicht nur bei der Presseparty im Garten des Museums für alte Kunst, wo eine Percussion-Girl-Group sehr schön Getrommel und traditionelle portugiesische Gesänge mischt, aber keinen leichten Stand hat. Schließlich gibt es kaum etwas Kulturbanausigeres als eine Schar internationaler Sportjournalisten nach zwei Wochen Fußballdröhnung.

Das Programm des Kulturfestivals „Lisboa em Festa“ bietet Ausstellungen mit alten Fußballfotos oder anderen Exponaten zur Fußballgeschichte, die Aktion „Fado in den Eléctricos“, den altertümlichen Straßenbahnen, die durch die engen Gassen der Stadt rattern, die Lichtbiennale Luzboa, bei der markante Punkte der Stadt illuminiert werden, unter anderem einige der besagten Eléctricos, und vor allem viel Musik. Während zu Beginn der EM die Bühne neben den allgegenwärtigen Fado-Abenden Leuten wie Avril Lavigne, Nelly Furtado, Limp Bizkit oder Korn gehörte, war am Montag für das etwas gesetztere Publikum der italienische Meister des Filmmusik dran, ohne den zahlreiche Werke von Sergio Leone, Bernardo Bertolucci, Pier Paolo Pasolini oder Quentin Tarantino zwar immer noch gute Filme wären, aber eben nicht mehr ganz so gut. Auf der anderen Seite ist auch Morricones Musik mit Film wirkungsvoller, zumal ihn und die portugiesische Sängerin Dulce Pontes in der zweiten Konzerthälfte das Pech eines kaputten und daher knarzenden Lautsprechers ereilt.

Dennoch ist Ennio Morricone eine glänzende Wahl für einen Auftritt bei der EM. Seine Stücke sind wie geschaffen als Soundtrack eines Fußballturniers und ihre Motive passen perfekt. Im Grunde sollte man die Filme noch einmal als Remake mit Fußballern und Trainern drehen, und mit Giovanni Trapattoni als Regisseur. „Spiel mir das Lied vom Tod“ etwa, der genialste deutsche Verleihtitel aller Zeiten, scheint dem portugiesischen Coach Felipe Scolari praktisch auf den Leib geschrieben. Andauernd redet der Brasilianer davon, dass es beim Fußball um Töten und Sterben gehe, und qualifiziert sich damit konkurrenzlos für den Part von Henry Fonda. Den von Claudia Cardinale kann Victoria Beckham übernehmen, deren Ehemann ja, im Scolari-Sinne, verdammt früh dahin gemurkst wurde bei diesem Turnier. Wahlweise könnte man sie natürlich auch als Uma Thurman in „Kill Wayne, Part I“ besetzen, Regie: Paul Gascoigne.

Der listen- und gestenreiche Scolari wäre auch erste Wahl für die Rod-Steiger-Nachfolge in „Todesmelodie“, nicht ganz so gelungener, weil sich arg beim Vorläufer anbiedernder deutscher Titel von „Giú la Testa“, „Nimm den Kopf runter“, jener Satz, den der irische Knallfrosch James Coburn immer sagt, wenn er eine kurze Lunte gelegt hat. Die ideale Rolle übrigens für Francesco Totti, auch wenn dessen Munition ein bisschen weniger explosiv ist. Den unglücksseligen Taubstummen aus Sergio Corbuccis „Il Grande Silenzio“ könnte der Däne Morten Olsen übernehmen, Lieblingssatz: „Kein Kommentar.“ Dieser Film lief in Deutschland als „Leichen pflastern seinen Weg“, eine saudumme Variante des würdigen Originaltitels und etwa so, als hätte man „The Big Sleep“ in „Hau mir auf die Rübe, Kleines!“ transformiert. Die Kinski-Rolle in „Silenzio“ wird extern besetzt – mit Bernd Hollerbach.

Bertoluccis „1900“ steht für die bevorzugte Taktik bei diesem Turnier, die man bezüglich der Offensive als Lissabonner Eléctrico-Taktik bezeichnen könnte –erst kommt lange gar keine, dann gleich zwei, eine leer dahinter zur Absicherung. Bleibt noch „The Good, The Bad and The Ugly“. Der Gute, das ist in diesen Tagen ohne Zweifel Luis Figo, der auch sonst einen guten Eastwood abgibt, für den Bösen kommt, zumindest bis morgen, nur Dick Advocaat in Frage, als der hässliche Spielverderber Tuco hat sich zweifelsfrei Otto Rehhagel qualifiziert. Bei „Für ein paar Dollar mehr“ spielen dann natürlich alle mit, sogar die Deutschen, deren geschiedener Teamchef am Ende von „Lucky Luke, die Erlösung“, als Titelheld in den Sonnenuntergang reiten darf. Mit diesem Film hat Ennio Morricone allerdings nichts zu tun.

MATTI LIESKE