a último verdade
: Oboen für Frankreich

DAS WORT AUS DEUTSCHLAND: Die einen interessieren sich für Fußball. Die anderen für Michael Ballack. Das ist ein Unterschied

Die Tochter interessiert sich für Fußball. Vor zwei Jahren interessierte sie sich noch für Michael Ballack. Das ist ein erheblicher Unterschied. Wenn sich „Nr.13“, wie sie ihn liebevoll nannte, nicht mindestens alle zwei Minuten die Haare in Großaufnahme aus dem Gesicht strich, interessierte sie die ganze Veranstaltung nicht. Heute sieht sie vollständige Spiele und gibt Bastian Schweinsteiger, obwohl der nun wirklich nach nichts aussieht, herrisch Befehle: „Mach was!“ Unlängst brachte sie mit ihren 12 Jahren exakt auf den Punkt, was Teilzeitfußballfans über die Bundesliga schnöde hinwegblicken, bei WM oder EM aber wie gebannt zusehen lässt: „Die kleinen Spielchen mag ich nicht so“, sagte sie, „es muss schon um Ausscheiden gehen und so was.“ Meisterschaft und Abstieg nach 34 Spieltagen erfüllen eindeutig nicht die Kriterien von „so was“. Egal wer in Portugal weiterkommt: Die Europameisterschaft meiner Tochter ist in vollem Gange.

Meine Europameisterschaft dagegen war schnell vorbei. Nicht, als die Deutschen ausschieden, sondern schon viel früher. Eigentlich nach dem ersten Spieltag in den Gruppen, denn da lag ich bereits aussichtslos zurück im taz-EM-Tippspiel. Nur wenig später hatte sich auch meine fünf Euro teure Europameistervorhersage erledigt, die ich allerdings, ich gebe es zu, nicht aus sportlichen, sondern allein aus monetären Gründen getroffen hatte: Meine Überlegung war, wenn Russland den Titel holt, werde ich reich, denn außer mir tippt die garantiert keiner. Die zweite Hälfte dieses Gedankengangs war tatsächlich wasserdicht, die erste hatte, wie sich allzu schnell herausstellen sollte, einige grundsätzliche Fehler.

Die Europameisterschaft unseres französischen Austauschschülers allerdings ging noch schneller zu Ende. Tatsächlich hat sie eigentlich nie begonnen. Am Tag nach dem schon jetzt legendären nachspielzeitlichen 2:1-Erfolg gegen England, fragte ich ihn, wie es um seine patriotischen Gefühle bestellt sei. Seine Augen weiteten sich zu Untertassen. „Isch weisch nischt“ (Je ne sais pas), sagte er und wunderte sich gar sehr, dass momentan eine Kontinentalmeisterschaft in der weltweit beliebtesten Sportart stattfindet. Dann ging er wieder Oboe üben. Vor dem verhängnisvollen Viertelfinale gegen Griechenland allerdings drückte er mir, nicht ohne einen feinen Anflug von Ironie, sein Mitgefühl für das Ausscheiden der deutschen Mannschaft aus und zeigte sich für das am Abend bevorstehende Spiel optimistisch. Ich sah darüber hinweg, ihm von Sevilla 1982 und Guadalajara 1986 zu erzählen.

Die Griechen führten bereits 1:0, als er schließlich den Kopf ins Zimmer streckte, um den Stand der Dinge zu erfragen. „Team ischt su ald“, sagte er, verzog das Gesicht und ich wunderte mich, woher er diese Information bezogen hatte. Dann ging er wieder Oboe üben. Das Thema wurde nie wieder angeschnitten. Es gibt etwa 60 Millionen Franzosen und bei uns wohnt das wahrscheinlich allerletzte Mitglied der Grande Nation, dem die Equipe Tricolore herzlich egal ist. Dafür spielt er wirklich sehr schön Oboe. THOMAS WINKLER