Martinas Antwort

10 Jahre nach ihrem ersten Auftritt im Melbourne Park kehrt die Schweizerin Martina Hingis an den Ort ihrer größten Erfolge zurück und gewinnt ihr Auftaktmatch mit der gleichen Leichtigkeit wie einst

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

Als Martina Hingis vor zehn Jahren zum ersten Mal im Melbourne Park spielte, war sie 15. Ein vorlautes, junges Mädchen mit Pony und Pferdeschwanz, dem die Kunde vorauseilte, es sei überaus talentiert. Die Leute kamen, um dieses Mädchen zu sehen, und sie waren vom ersten Moment an fasziniert. Dieses schmale Wesen schien den Flug der Bälle zu erahnen, und die Mühelosigkeit, mit der das alles geschah, hatte eine Wirkung, der man sich nur schwer entziehen konnte.

Was in den Jahren seither passiert ist, ist hinlänglich bekannt. 1997 gewann Martina Hingis in Melbourne den ersten ihrer insgesamt fünf Grand-Slam-Titel, und sie eroberte die Welt des Tennis. Doch leider begriff sie nicht, dass sie sich nicht nur auf ihr Talent verlassen konnte, um mit den heranstürmenden Power-Schwestern Williams mithalten zu können, und als sie es begriff, war es schon zu spät. Auch den letzten der fünf Titel gewann sie in Melbourne (1999 war das), drei Jahre später spielte sie in der Rod Laver Arena ihr letztes großes Finale. Doch am Ende des Jahres war Schluss. Das schmale Wesen aus der Schweiz wurde im jugendlichen Alter von 22 Jahren wegen chronischer Schmerzen im Fuß in den vorzeitigen Ruhestand gezwungen.

Nun ist Martina Hingis also wieder da, am Dienstagabend spielte sie zum ersten Mal wieder an der Stätte ihrer größten Erfolge. Und als habe es die dreieinhalb Jahre Pause nicht gegeben, beschwor sie auf Anhieb den alten Zauber. Beim Sieg gegen die Russin Wera Swonarewa, die immerhin schon mal zu den Top Ten der Welt gehört hatte, spielte sie mit der gleichen unnachahmlichen Übersicht, mit dem gleichen Geschick und mit dieser wunderbaren Finesse, die im Frauentennis aus der Mode gekommen ist. Und sie gewann so wie früher, als sei das alles ein Kinderspiel. 6:1 und 6:2 in 65 Minuten, mit einem Lächeln auf den Lippen und nicht zu übersehendem Leuchten in den Augen. Jeder konnte spüren, warum sie wieder Tennis spielen will und was ihr die Rückkehr bedeutet. Musste sie nicht überrascht sein, dass alles so leicht ging? „Ich würde nicht unbedingt sagen, dass es leicht gewesen ist“, sagte sie hinterher, „ich hab einfach richtig gut gespielt.“ Mit leichter Hand wie früher, aber mit einer Prise mehr Pfeffer. Der Aufschlag ist besser als der von einst, die Vorhand druckvoller, die Beinarbeit besser. Wenn das alles, so wie an diesem Abend, zusammenpasst, dann entfaltet sich die alte, wunderbare Wirkung.

Was sie dafür bekommt, ist nicht zu übersehen. Fast gerührt nahm sie nach dem Sieg noch auf dem Platz die Komplimente des ehemaligen australischen Davis-Cup-Spielers John Alexander im Fernsehinterview entgegen, und in der Pressekonferenz eine halbe Stunde später wusste sie sich vor lauter Wohlgefallen noch immer kaum zu fassen. Sie sagt, sie sei darauf vorbereitet, dass es nicht in jedem Spiel so gut laufen könne, denn schließlich sei sie ja erst am Anfang und müsse Geduld haben.

Wera Swonarewa hatte nicht den Hauch einer Chance. Gut möglich, dass sie sich in der Stunde dieses Spiels gefragt hat, warum Martina Hingis um Himmels Willen nicht daheim beim Skifahren, Reiten, im Englischkurs oder in irgendeinem Fernsehstudio geblieben ist. Die Zuschauer haben sich das nicht gefragt. Die saßen auf den Rängen und staunten. Sie sahen eine junge Frau, die stolz darauf ist, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Eine Entscheidung, die am Anfang nicht jeder verstanden hat. Doch die Frage, was Martina Hingis dem Tennis zehn Jahre nach ihrem ersten Auftritt in Melbourne noch zu bieten hat, ist keine mehr.