Die andere Kurve

Der FC Katamon ist ein Refugium für linksintellektuelle Fußballfans im konservativen Jerusalem. Das sportpolitische Experiment kommt an. Der Klub hat auf einmal mehr Zuschauer als viele Erstligisten

„Nächstes Jahr müssen wir noch mehr arabische Spieler haben!“

AUS JERUSALEM CHRISTOPH GUNKEL

Auf den ersten Blick ist der FC Hapoel Katamon Mevasseret ein ganz normaler Fußballverein in Israel. Die Fans singen, sie jubeln, wenn ihr Team trifft, und schlagen die Hände über den Kopf zusammen, wenn der Gegner ein Tor erzielt. Doch der ganze Verein und seine Anhänger sind so ungewöhnlich, dass eine Professorin der Hebräischen Universität in Jerusalem letzte Saison regelmäßig ins Stadion kam, um eine wissenschaftliche Arbeit über diesen Mikrokosmos zu schreiben.

Ohad Stadler ist Teil dieses Mikrokosmos. Denn der FC Katamon, benannt nach einem Jerusalemer Stadtteil, ist das letzte Refugium für überwiegend junge, linksintellektuelle Fußballfans in Jerusalem. Ohad arbeitet für eine Organisation, die kritisch israelische Medien analysiert. Zwischen Ecke und Kopfball kann man mit ihm über Ausschreitungen extremer jüdischer Siedler in Hebron oder Israels Angriffe auf den Gazastreifen diskutieren. Wie die meisten Fans trägt er ein rotes T-Shirt, auf dem Fan-Schal prangen Hammer und Sichel. So wird am Freitag auch ein ehemaliger israelischer Spitzendiplomat zum Saisonauftakt erscheinen: Club-Präsident Alon Liel. Einst war er Botschafter in Südafrika und Generaldirektor des Außenministeriums, heute betreibt er mit Katamon Sportpolitik und wirbt daneben für eine Verständigung mit Syrien. Als sein Verein letztes Jahr den Aufstieg verpasste, gab Liel ein ungewöhnliches Ziel vor: „Nächstes Jahr müssen wir noch mehr arabische Spieler haben!“

Wie für den Präsidenten ist für viele Fans der sportliche Erfolg des FC Katamon längst nicht alles. Sonst wären am letzten Spieltag der vergangenen Saison trotz vergeigten Aufstiegs nicht wieder über 4.000 Zuschauer zu einem mäßigen Viertligaspiel gekommen. Von so viel Zuspruch können in Israel die meisten Erstligisten nur träumen. Längst spielt der Viertligist im großen Teddy-Kollek-Stadion, weil das eigene Stadion zu klein wäre. Es ist ihre politische Einstellung, die viele Fans zum FC Katamon treibt. In ihrer Hymne preisen sie selbstironisch die Attribute ihres Vereins: „Der Hammer, die Sichel, die Internationale, das rote Hemd und der Hass auf die Menora!“ Das Logo des großen Stadtrivalen Beitar Jerusalem, der in der ersten Liga spielt, ist die Menora, der siebenarmige Leuchter. Arcadi Gaydamak, dem milliardenschweren Besitzer des Stadtrivalen und rechtspopulistischen Bürgermeisterkandidaten, geben sie singend mit: „Hör zu: In Israel leben zwei Völker. Ich hasse dich. Ich hasse Rassisten.“

Beitar Jerusalem ist berüchtigt für rechte, randalierende und religiös verbohrte Fans, die niemals arabische Spieler in ihrer Mannschaft akzeptieren würden. Als am letzten Jahrestag der Ermordung Jitzhak Rabins im Stadion eine Schweigeminute eingelegt werden sollte, pfiffen und buhten sie lautstark gegen die Erinnerung. Für sie ist der Friedensnobelpreisträger ein Verräter. Und so spiegelt das Machtverhältnis in der Jerusalemer Fußballszene auch ein wenig die gesellschaftliche Situation in der Hauptstadt wider: Jerusalem wird immer konservativer und religiöser, der Einfluss der Gemäßigten sinkt.

Die Anhänger des FC Katamon singen lautstark dagegen an. Ihr eigener Club ist Resultat einer Notgeburt – der Versuch, nicht völlig von der sportpolitischen Landkarte zu verschwinden. Denn bis vor kurzem haben Fans wie Ohad einem anderen Verein zugejubelt: dem Traditionsclub FC Hapoel Jerusalem. Doch deren zwei Manager hatten sich über Jahre vor Gericht gestritten, wem der Club eigentlich gehört, und dabei das sportliche Schicksal aus den Augen verloren. Innerhalb weniger Jahre stürzte der Expokalsieger und Erstligist in die dritte Liga ab, in Millionenhöhe verschuldet. Eine Fan-Initiative des Sportredakteurs Uri Sheradsky fand im Sommer 2007 eine starke Antwort: Die entnervten Fans gründeten einfach ihren eigenen Verein, der sauber und profitabel geführt werden soll – und zwar ausschließlich von den Fans selbst, auf der Basis von Aktien. Das Experiment glückte: Innerhalb weniger Wochen hatte Sheradsky 650 Aktien für jeweils 1.000 Shekel (etwa 195 Euro) verkauft, der FC Katamon war geboren.

Geld hatte man nun – fehlten nur noch die Spieler. Sheradsky hörte von einem Verein mit einem ungewöhnlichen Doppelnamen: Mevasseret Zion/Abu Gosh – benannt nach zwei Jerusalemer Vororten, der eine jüdisch, der andere arabisch. Vor vier Jahren hatte Alon Liel die Idee, aus den Vorortvereinen einen jüdisch-arabischen Klub zu formen. Gegen Widerstände in beiden Gemeinden setzte er das Projekt durch. „Anfangs gab es viel Hass. In der ersten Saison hatten wir bei Heimspielen 300 Fans. 100 weitere Zuschauer kamen nur, um gegen die Zusammenarbeit anzubrüllen. Sie feuerten lieber den Gegner an.“ Doch Liel hielt an der Idee fest, religiös-ideologische Gräben mithilfe des Sports zuzuschütten. Er ließ seine Kontakte aus seiner Botschafterzeit spielen, überzeugte eine türkische Baufirma, als Sponsor einzusteigen, lud eine syrisch-drusische Jugendmannschaft zu einem Freundschaftsspiel ein und engagierte einen arabischen Coach. Mit dem sportlichen Erfolg stieg langsam die Akzeptanz.

Als der frisch getaufte FC Katamon Liel 2007 den Vorschlag zur Fusion machte, war der „sofort begeistert“. Und Sheradsky wollte einen Club, der auch politische Akzente setzt. Schließlich sollte der FC Katamon „die Antithesis zu Beitar Jerusalem“ werden, wie Ohad es formuliert. So wie es jahrzehntelang der nun halbbankrotte FC Hapoel Jerusalem war, deren Fans fast kollektiv zu Katamon überliefen.

Die Euphorie hält bis heute an, vor Saisonstart sind erneut über 500 Aktien verkauft worden. Doch mit dem Erfolg des Experiments wächst auch der sportliche Druck. „Wir müssen unbedingt aufsteigen, sonst ist der Enthusiasmus irgendwann weg“, befürchtet Ohad. Politik ist eben auch beim FC Katamon nicht alles. Die neue Saison bietet aber auch eine sportliche Riesenchance: Weil der israelische Fußballverband gerade seine Ligen neu strukturiert, wird der Meister der vierten Liga nächstes Jahr direkt in der zweiten Liga spielen.