sarah bsc
: Armer Herr Favre

Manchmal, wenn ich via TV in das Gesicht von Lucien Favre schaue, sehe ich meinen alten Klassenlehrer vor mir. Nicht dass die zwei große Ähnlichkeit hätten. Es ist mehr der Zug leichter Verzweiflung, der sich bei beiden um den Mund herum eingegraben hat. Und die Augen, aus denen tiefe Enttäuschung blickt: Sie lassen den Herthatrainer immer mehr zum traurigen Clown meiner Schulzeit werden. Es ist dieses ewige Hoffen und das unaufhörliche Nichtbegreifenwollen, warum die Kinder – beziehungsweise die Mannschaft – einfach nichts lernen.

Alle Versuche von Favre laufen ins Leere, und ich stelle mir die Herthabesprechungen so ähnlich vor wie die Standpauken, die wir nach verhauenen Klausuren hören mussten. „Wie kann man mit einem ewigen Mittelmaß zufrieden sein“, fragt Favre. „Ich habe es doch nun wirklich tausendmal erklärt, mit Geduld und mit Didaktik versucht, euch Tölpeln beizubringen, wie man Fußball spielen kann. Wenn man nur wollte. Ihr könntet doch sogar im Ausland mitspielen, wenn ihr nur lernen würdet.“ Aber die Spieler sind bockig. „Nö“, sagen sie und suchen Ausreden. „Wir sind nicht dran schuld, Herr Favre, die Aufgaben sind einfach zu schwer, die anderen haben geschummelt und schauen Sie doch mal, nicht mal die Bayernstreber aus 7b kommen mit der Arbeit klar.“

Und dann guckt der eine zum anderen, auf der Suche nach dem Unbeliebtesten, auf den man das eigene Versagen schieben kann. Die zwei, drei Schüler, die halbwegs ordentlich mitgearbeitet haben, wollen sofort Vergünstigungen. Mehr Freistunden oder mehr Taschengeld. Oder sie sagen, es liege nicht an ihnen, dass sie auf dem besten Wege sind, wie im letzten, im vorletzten und im vorvorletzten Jahr wieder nur mit Ach und Krach das Klassenziel zu erreichen. Es liegt an der Schule. In der könne man sich nämlich überhaupt nicht richtig konzentrieren, „und das hat der Direktor auch schon gesagt“, sagen sie und schießen hinter Favres Rücken heimlich Krampen durch den Raum.

Favre wird traurig nach Hause gehen und seiner Frau erzählen, dass er sich ausgebrannt fühlt. Dass er nicht mehr weiß, wie er seine Schüler noch motivieren könnte, seinen Unterricht doch endlich mal ernst zu nehmen, dass er nie dazu kommt, ihnen die Feinheiten des Fußballes zu zeigen, weil sie wieder die einfachsten Regeln vergessen haben. Und vielleicht wird er beim nächsten Rückschlag daran denken, wie einfach und effektiv früher alles war. Als man faulen Schülern das Lernen noch einprügeln durfte. Vielleicht würde das ja helfen, Herthas Mannschaft zu besserer Leistung zu animieren. Einen Versuch wäre es wert.SARAH SCHMIDT