EM in der Ukaine gefährdet: Baustelle Euro

In der Ukraine hofft man noch immer auf die Austragung der Fußball-EM 2012. Nicht nur die Finanzkrise, auch politischer Zwist droht das Projekt auszubremsen.

Mischen auch bei der EM kräftig mit: die ukrainischen Spitzenpolitiker Juschtschenko und Timoschenko.

Es herrscht Aufbruchstimmung in Lemberg. Im Internet stimmen die Bürger über das Logo für die Euro 2012 ab: Besonders beliebt ist ein Fußball spielender Löwe, das Wappentier der Stadt. Nur wenige bezweifeln, dass drei EM-Vorrundenspiele in der Westukraine stattfinden werden - dabei war Mitte Oktober die österreichische Alpine Bau aus dem 85 Millionen Euro teuren Stadionprojekt ausgestiegen. Stolz verkündet Serhij Kiral, dass die ersten Bauarbeiter und Maschinen eingetroffen seien. "Die Firma Azovintex wird die neue Arena mit 33.000 Sitzplätzen bis Juli 2010 bauen", berichtet der Leiter des Büros für auswärtige Investitionen.

Hinter Azovintex steht Stahlmagnat Serhij Taruta, der laut Forbes 2007 über ein Vermögen von 2,1 Milliarden Dollar verfügte. Das Unternehmen habe zwar keine Erfahrung mit Stadien, gibt Kiral zu: "Azovintex wird jedoch externe Berater engagieren." Erfahrungen gibt es im Osten des Landes: Die Arenen in Donezk und Dnipropetrowsk sind dank der Oligarchen Rinat Achmetow und Ihor Kolomoisky nahezu fertig.

Viele Ukrainer denken wie der Student Taras, der mit dem Nachtzug von Kiew in seine Heimatstadt Lemberg fährt: "Achmetow, Surkis und Kolomoisky sind so fußballverrückt, dass sie zur Not alles selbst bezahlen." Fast zehn Stunden braucht die Bahn für 550 Kilometer - Zeit für Fachsimpeleien unter Fans: "Woronin spielt gut bei Hertha, oder?" Freund Oleh ruft aus: "Platini hat doch gerade gesagt, dass Polen und die Ukraine die EM gemeinsam ausrichten oder gar nicht. Alles wird gut, wetten wir?"

In Nyon, dem Sitz der Uefa-Zentrale, ist man skeptischer. Die Süddeutsche Zeitung berichtet über einen Notfallplan der Uefa: Deutschland könnte mit Polen die EM 2012 ausrichten, gespielt würde in Berlin, Leipzig und Dresden. Martin Kallen, Uefa-Projektleiter, sagte der SZ: "In fünf Wochen wissen wir, ob das Stadion in Kiew rechtzeitig fertig wird. Ohne das gibt es kein Turnier in der Ukraine." Deutschland sei "eine gute Alternative", wenn die Ukrainer scheitern sollten.

Boxweltmeister Vitali Klitschko, der in Kiew als Bürgermeister kandidierte und sich für die ukrainische Bewerbung engagiert hatte, will sich nicht dazu äußern. Der Sprecher von Verbandschef Hryhorij Surkis reagiert überrascht: "Wir wissen nichts von einem solchen Plan." Kallen habe am Freitag an einer Pressekonferenz im Kiewer "Haus des Fußballs" mit Surkis und Gregorz Lato, dem Chef des polnischen Fußballverbands, teilgenommen und noch mehr Engagement gefordert. Keiner werde bei Problemen des Nachbarn nach neuen Partnern suchen. Surkis kündigte an, dass auf der Kiewer Baustelle Extraschichten eingelegt würden - dort soll das Finale stattfinden.

Diese Angaben passen zum Wirrwarr der letzten Wochen. Ende Oktober hatte der Ukrainer Jewgeni Wilinski in einem Interview gesagt, die Arbeiten an 80 Prozent der Bauprojekte rund um die EM seien wegen Geldmangels eingestellt. Kurz darauf zog er die Aussage zurück, doch die Negativschlagzeilen folgten europaweit. Meist wurde Wilinski als Vizechef des EM-Organisationskomitees bezeichnet, doch so einfach ist die Sache nicht.

Wilinski vertritt die "Nationale Agentur zur Vorbereitung der Euro 2012", doch parallel existieren andere Gremien: Ministerpräsidentin Julia Timoschenko leitet ein vielköpfiges "Organisationskomitee", Präsident Wiktor Juschtschenko den "Organisationsrat". Oft versucht Verbandschef Surkis, der als Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees viel Einfluss besitzt, die Wogen zu glätten. Zu allem Überfluss kocht jeder Austragungsort sein Infosüppchen. Vertreter der Ersatzstädte Charkiw und Odessa streuen Gerüchte, um das Sorgenkind Lemberg auszustechen. Aktuelle Informationen in Englisch sind kaum zu finden - nur der Verband bemüht sich, ausländischen Journalisten zu helfen.

All dies missfällt der Uefa: Sie fordert laut der Zeitung Zerkalo Nedeli ab Mai 2009 eine einheitliche Informationspolitik; Surkis und Lato wollen bis Dezember eine gemeinsame Organisation für die EM schaffen.

Das Chaos in der ukrainischen Fußballszene spiegelt überdies das politische Geschehen. Präsident Juschtschenko und Ministerpräsidentin Timoschenko, einst Helden der Orangenen Revolution, sind heute so zerstritten, dass sie dem Gegner keinen Imagegewinn gönnen. So hinkt der Staat mit seinen Investitionen hinterher: Alle Flughäfen des Landes müssen ebenso modernisiert werden wie das Schienen- und das Straßennetz. Doch das Geld ist knapp: Im Oktober rettete nur ein Milliardenkredit des IWF die Ukraine vor dem Bankrott. Nun soll ein Konjunkturprogramm der kriselnden Bau- und Immobilienwirtschaft helfen - und so etwa den Bau der für die Euro 2012 nötigen Hotels ankurbeln. Experten wie Harald Meyer von der Bundesagentur für Außenwirtschaft sind aber skeptisch: "Es gibt erhebliche Zweifel in Finanzkreisen, dass dieser Mechanismus funktionieren wird."

Die erhofften privaten Investoren halten sich zurück. Weil die Aktienkurse fallen und der Preis für das wichtigste Exportgut Stahl sinkt, müssen auch die Oligarchen sparen: Das Vermögen von Rinat Achmetow, dem Mäzen von Schachtar Donezk, ist nach Medienberichten 2008 von 30 Milliarden auf etwas über 10 Milliarden Dollar gesunken.

Analysten in Kiew sind sich einig: Das wichtigste Datum für die Spitzenpolitiker ist nicht 2012, sondern 2010. Dann wählen die 47 Millionen Ukrainer einen neuen Präsidenten. In diesem Machtkampf muss das Prestigeprojekt Euro 2012 oft zurückstehen - und sei es nur, um den Gegner als unfähig beschimpfen zu können. Nicht nur in Lemberg könnte die Aufbruchstimmung bald verfliegen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.