Die Illusion lebt

Ein historisch defensives Real Madrid raubt Barcelona alle Schönheit. Den Sieg holen sich dennoch die Katalanen

BARCELONA taz ■ Der Regen begleitet Samuel Eto’o auf seinem Weg, den Verstand zu verlieren. Die Wassertropfen sprühen aus seinen Haaren, so sehr schüttelt Barças Stürmer den Kopf, er rennt, die Augen geschlossen, und schreit, schreit, schreit nach seinem Tor zum 1:0, als nur noch acht Minuten im ewig bitteren Duell gegen Real Madrid blieben. Am Ende wird es, durch ein Tor von Lionel Messi, 2:0 heißen, Barcelona, gedemütigt in den vorherigen zwei Spieljahren von einem gewöhnlichen Real und der eigenen Dekadenz, bleibt Tabellenführer in Spanien und hat den Meister Madrid schon zur Hälfte der Saison mit zwölf Punkten Abstand aussichtslos zurückgelassen.

Der Triumph wird als Symbol gelten, wie viel besser als Real doch Barcelona grundsätzlich arbeite; und tatsächlich haben wenige Vereine eine so klare, bewundernswerte Linie wie Barça mit seinem Kurzpassfußball und der exzellenten Ausbildung. Doch das Spiel spiegelt nur sehr bedingt die Überlegenheit des Guten, Schönen wider, für das Barça steht. Real berief sich auf alles Hässliche, was der Fußball zu bieten hat, Ultradefensive, gezielte brutale Fouls – aber so dominierten sie bis acht Minuten vor Ende ein Barça, das ständig angriff und selten weiterwusste.

„In meinem Leben habe ich noch nie ein so defensives Madrid gesehen“, staunte Barças Spielmacher Xavi. Als Reals Spieler nach 20 Minuten Messi, den Weltbesten, viermal mit einem Tritt in die Achillessehne niedergestreckt hatten, ließ sich die Frage nicht vermeiden, ob ihre Taktik noch pragmatisch oder nur noch zynisch war. Aber die einzig wichtige Antwort war: Die Taktik funktionierte. Dass sich ganz zum Schluss dennoch Barça behauptete, ließ die Illusion am Leben, der Fußball belohne den, der wagt.

Der Einfluss von Trainer Guardiola beim Comeback des schönen Barças ist nicht zu unterschätzen, dass etwa Eto’os 1:0 aus einem Eckball resultierte, war bezeichnend: Guardiola hat solche strategischen Details perfektioniert. Doch vor allem baut er auf die Substanz auf, die ihm die Vereinslinie sowie sein Vorgänger Frank Rijkaard hinterließen: ein Team, dessen Spielautomatismen und Spielhunger nur wieder stimuliert werden mussten. RONALD RENG