Fußball bis zum Abwinken

NORDDERBY Uefa-Cup, DFB-Pokal, Bundesliga? Aus ökologischen Gründen haben Werder und der HSV aus vier Duellen eins gemacht: Sechs Stunden mit Platzverweisen und Wiedergängern, Wurstnot und einem Dreifachtreffer. Die Verlängerung muss vertagt werden

■ jede Mannschaft benennt 22 Spieler, die wie im Handball ständig ein- und ausgewechselt werden dürfen

■ nach der regulären Spielzeit gibt es eine 90-minütige Verlängerung, anschließend Elfmeterschießen mit je 20 Schüssen, bei Gleichstand weiter bis zur Entscheidung

■ bei der zweiten gelben Karte gibt es Gelb-Rot und Sperre für den nächsten Spielabschnitt (90 Minuten)

■ bei roter Karte entscheidet das Schnellgericht im Internationalen Seegerichtshof sofort über die Dauer der Sperre

■ der Videobeweis ist zulässig

VON RALF LORENZEN

Die Idee kam von Petri Pasanen und war eigentlich nur im Scherz dahingeplappert: „Warum sollten wir uns in so kurzer Zeit viermal mit den Hamburgern messen?“ fragte der Werder-Verteidiger. Der Einzige, der das für bare Münze nahm, war Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU), der sich Klimaschutz auf die Fahnen schrieb und dann ein Kohlekraftwerk erlaubte.

„Ein Dauer-Derby an einem Tag mit einmaliger Anfahrt wäre ein bedeutender Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstoßes“, schrieb er an die Vereinsführungen und beteiligten Fußballverbände. Alle waren begeistert. Philosophische Unterstützung erhielt der Plan noch durch ein Fax, das Otto Rehhagel aus Athen schickte: „Und so sind die meisten griechischen Tragödien: Kommt es hoch, so bedürfen sie sechs, acht oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlauf.“ Die Suche nach einem geeigneten Amphitheater schlug allerdings fehl. Dafür setzte sich Werders Edelfan Rudolf Hickel mit dem Antrag durch, die HSH-Nordbank-Arena anlässlich des Spiels in Bad-Bank-Stadion umzubenennen.

Die Ultras in beiden Lagern fuhren in ihren Kurvenchoreografien schwere Geschütze auf. Auf Bremer Seite wurde ein riesiges Bildnis des Bremer Rathausbalkons gezeigt, mit der Überschrift: „Hamburger, wozu bracht ihr einen Balkon?“ Dazu sangen die Bremer Fans nach Udo Jürgens-Melodie: „Ihr wart noch niemals in Berlin.“ Dafür hielten die Hamburger auf Pappschildern ausgemergelte Bremer hoch, mit dem Satz: „Ohne uns wärt ihr längst verhungert“ und sangen dazu: „Wir steigern euer Brutto-Sozialprodukt.“ Um 15 Uhr begann das Spiel, für das die Bürgerschaften beider Städte die Feiertagsverordnungen so geändert hatten, dass jeder ab mittags blau beziehungsweise grün-weiß machen durfte.

1. Minute: Mladen Petrić erzielt das 1 : 0.

2. Minute: Schiedsrichter Knut Kircher ahndet gleich die erste Schwalbe von David Jarolím mit einer gelben Karte.

3. Minute: Der HSV legt los, als wollten sie das Spiel in der ersten Viertelstunde entscheiden. „Wir haben sechs Stunden Zeit“, ruft dagegen Thomas Schaaf seinen Leuten zu und nimmt einen Schluck aus der Thermoskanne, die seine Frau ihm für den langen Arbeitstag gefüllt hat.

4. Minute: Olić kommt an der rechten Strafraumecke frei zum Schuss und zirkelt den Ball ins linke obere Eck zum 2 : 0.

5. Minute: Zweite Schwalbe von Jarolím, Gelb-Rot. Damit ist er bis zur 181. Minute gesperrt.

6. - 45. Minute: Auch gegen zehn Hamburger bleibt Werder zurückhaltend, schont Diego und Özil. Der HSV kompensiert den Jarolím-Ausfall mit einer Vierfach-Sechs im Mittelfeld (Tavares, Demel, Silva, Benjamin). Wegen aufkommender Langeweile gibt es schon vor der ersten Pause Nachschub-Probleme an den Würstchenständen.

70. Minute: Rot für Tim Wiese („Ich habe nichts gesehen“), dessen verunglückte Handkanten-Abwehr nur haarscharf am Ohr von Ivica Olić vorbeigeht. Das im Internationalen Seegerichtshof an der Elbchaussee zusammengetretene Schnellgericht verurteilt Werders Torwart zu einer Sperre bis zur 271. Minute.

91. - 179. Minute: Im zweiten Durchgang spielt auf beiden Seiten der zweite Anzug. „Wir haben noch über drei Stunden“, ruft Thomas Schaaf und holt sich eine Stulle aus der Kühlbox. Kurz vor der Pause grätscht Macaulay Chrisantus in einen zu kurzen Abschlag von Vander und lupft den Ball zum 3 : 0 ins Tor.

181. - 225. Minute: Jetzt ist es mit der Geduld von Thomas Schaaf vorbei. Er bringt das frische Duo Özil und Pizarro, das eine Chance nach der anderen vergibt. Die HSV-Fans kommentieren die Fehlschüsse höhnisch mit „Ailton O - O - O“. Martin Jol verstärkt das defensive Mittelfeld mit dem zurückgekehrten Jarolím und Dennis Aogo zur Sechsfach-Sechs.

226. - 270. Minute: Die meisten Zuschauer versuchen, sich irgendwie hinzulegen. Vom Hamburger Dom sind inzwischen riesige Kontingente Bratwurst nachgeliefert worden. Auf dem Spielfeld tut sich wenig. Diego liegt noch auf der Massagebank.

271. Minute: Tim Wiese kehrt zurück und legt sich sofort mit Albert Streit an („Ich wollte ein Zeichen setzen“). Vergebens: Das Tempo bleibt lahm, die meisten Zuschauer vertreten sich längst im Volkspark die Beine.

„Und so sind die meisten griechischen Tragödien: Kommt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlauf.“

Otto Rehagel, per Fax

356. Minute: Diego wird eingewechselt und gibt den Ball bis zum Spielende nicht mehr ab.

357. Minute: 3 : 1 Diego.

358. Minute: 3 : 2 Diego.

359. Minute: 3 : 3 Diego.

360. Minute: Diego zieht aus 80 Metern ab, doch der am Pfosten kauernde Frank Rost robbt sich mit letzter Kraft in den Ball. Abpfiff, Verlängerung. Schaaf wirft wütend die Thermoskanne weg. In letzter Sekunde ist sein Plan gescheitert.

361. Minute: Im Seegerichtshof wird auf Antrag der Mannschaftsärzte entschieden, die Verlängerung nächste Woche im Weserstadion auszutragen. Als kürzestes Derby aller Zeiten.