Fankultur bei Union Berlin: Betonierte Liebe

Der 1. FC Union Berlin steht vor dem Aufstieg in die zweite Liga. Die Fans sind voller Hingabe. Sie feuern nicht nur an, sie bauen auch das Stadion selbst.

So enthusiastische Fans gibt es selten. Bild: reuters

BERLIN taz | "Ein altes Basecap, einen Schal, den im besten Fall noch die Oma gestrickt hat, einen leichten Bierbauch, vielleicht eine Zigarette im Mund, auf jeden Fall irgendwann während des Spiels eine Bratwurst und ein Trikot der aktuellen Saison." So beschreibt Christian Beeck den typischen Fan des 1. FC Union Berlin.

Der ehemalige Bundesligaspieler (Energie Cottbus) ist Sportdirektor bei dem Drittligisten, der schon längst angefangen hat, für die zweite Liga zu planen. Die Berliner dominieren die dritte Liga beinahe nach Belieben. Seit 18 Spielen sind sie ungeschlagen. Die Stimmung ist gut in Köpenick, im Südosten Berlins, rund um die Alte Försterei, die Heimstatt von Union.

Kaum einer der guten, alten, "mitfühlenden und sorgenvollen" (Beeck) Fans ärgert sich darüber, dass immer noch gebaut wird an ihrem Stadion. Das hätte eigentlich schon im Februar eröffnet werden sollen. Weil zu wenig bekannt war über die Beschaffenheit des Baugrundes, kam es zu immer neuen Verzögerungen.

Die Heimspiele in dieser Saison hat Union in Prenzlauer Berg im Jahnsportpark ausgetragen, da wo der BFC Dynamo seinerzeit DDR-Meisterschaften serienweise gefeiert hat. "Da muss man durch", sagt Björn Böttcher, der neun Jahre alt war, als die Mauer fiel, der dennoch nie den Namen "Dynamo" in den Mund nehmen würde. "Die Unaussprechlichen" nennt er - wie die meisten der typischen Union-Fans - den BFC und spricht über alte Zeiten der "Schlosserjungs aus Schöneweide", der "Eisernen", als wäre er selbst dabei gewesen.

Seit Juni 2008 geht Böttcher täglich zu Union. Er ist einer jener Fans, die sich freiwillig gemeldet haben, um bei der Stadionsanierung mitzuhelfen. Eine Herzensangelegenheit für den arbeitslosen Trockenbauer. 1.600 Freiwillige haben für Union Beton gegossen, Verschalungen gezimmert, Eisen geflochten oder gemalert. 75.000 Arbeitsstunden wurden so gespendet. 2 Millionen Euro ist diese Leistung wert. Fast so viel wie die der Sponsoren, die haben 2,5 Millionen für die Sanierung bezahlt.

Auch Trainer Uwe Neuhaus weiß um die enge Verzahnung des Vereins mit seinen Fans. Er kommt aus dem Ruhrgebiet und hat auch dort fanatische Anhänger kennen gelernt. Das hat er nicht nur in guter Erinnerung.

Als er den Abstieg von Rot-Weiss Essen aus der zweiten Liga nicht verhindern konnte, sei der Mannschaft der blanke Hass entgegengeschlagen. "Kleine Kinder haben bei einem Trainingslauf mit Schlamm nach uns geworfen." So etwas sei bei Union nicht vorstellbar. Neuhaus nimmt den Klub und seine Fans als Einheit wahr. Um die so gern beschworene Tradition von Union weiß er. Seine Aufgabe ist es, modernen Fußball in ein museales Umfeld zu implantieren, in dem der "Stolz der Underdogs" ausgestellt wird.

Sein bevorzugtes System ist das 4-4-2 mit einer Raute im Mittelfeld. "Damit kann man am besten auf die unterschiedlichen Spielanlagen der Gegner reagieren", sagt er. Doch nicht immer funktionieren die Spieler im System. "Es kommt eben auch immer auf das Material an, das ich zur Verfügung habe", sagt dazu Sportdirektor Beeck.

Als es zu Beginn der vorigen Saison so gar nicht laufen wollte, ließ er in der Abwehr mit Dreierkette spielen. "Manchmal haben wir das System von Spiel zu Spiel umgestellt", erinnert sich Neuhaus. Der Trainer ist Taktiker und Stratege. Er hat sich durchgesetzt. Nicht viele haben ihm das zugetraut. In den letzten zehn Jahren haben sechs Trainer bei Union gearbeitet. Neuhaus hat nun fast schon zwei Jahre hinter sich.

Er weiß, dass er einem Verein wie Union, der regelmäßig an der vollständigen Pleite nur knapp vorbeigerauscht ist und immer noch bescheiden wirtschaften muss, keine Wunschliste mit Spielernamen übergeben kann. Vier bis fünf Verstärkungen soll es geben.

Der Etat, für die laufende Saison bei 5,9 Millionen Euro, soll auf 8 bis 10 Millionen steigen. 19 Spieler aus dem derzeitigen Kader haben einen Vertrag für die zweite Liga. Ob das klappen kann? Neuhaus ist zurückhaltend optimistisch: "Es könnte sein, dass das gutgeht." Er verweist auf Rot-Weiss Oberhausen, im letzten Jahr Aufsteiger in Liga zwei. Die hätten auch nicht viel investiert und können durchaus mithalten. Oberhausen ist derzeit Neunter.

Einstellen muss sich die Mannschaft auf eine Vielzahl von Spielern mit hoher individueller Klasse. Das sei, so der Trainer, der Hauptunterschied zu Liga drei. Und was die Physis angeht, "da wird es brutalst, da müssen wir in jedem Spiel absolut alles abrufen".

Den alten Unionern auf den zum Teil von ihnen selbst betonierten Tribünen wird es gefallen, wenn sich die Mannschaft abrackert, so wie es sie auf der Baustelle getan haben. Jetzt steht erst einmal die Aufstiegsfeier an. Im Südosten Berlins fiebert man ihr entgegen wie einst dem DFB-Pokalfinale, für das sich das Team 2001 qualifiziert hatte. Im Rest Berlins wird man von der Köpenicker Euphorie nicht viel mitbekommen. Die alten Unioner bleiben allzu oft unter sich - in dieser Saison kamen statt der kalkulierten 8.000 nur 6.900 Zuschauer pro Spiel. Neue Fans, mit neuen Basecaps und neuen Schals, könne man nur durch nachhaltigen Erfolg gewinnen, sagt Sportdirektor Beeck. Trainer Neuhaus weiß um seine Aufgabe. Sie könnte brutalst schwer werden.

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