Neutral an Claudias Seite

DAILY DOPE Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft bezieht vor der juristischen Auseinandersetzung um die Dopingsperre der fünffachen Olympiasiegerin Claudia Pechstein allzu eindeutig Stellung

„Bei alldem geht geht es nicht um das Haar in der Suppe“

VERBANDSJURIST MARIUS BREUCKER

MÜNCHEN taz | Hinter den Vortragenden eine grüne Kreidetafel, rechts neben ihnen ein TageslichpProjektor: Die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) umgab sich mit dem etwas altmodischen Charme der Sportuni im Münchner Olympiazentrum. Thema der Pressekonferenz in Hörsaal zwei war, natürlich, Claudia Pechstein. Zu Beginn machte Präsident Gerd Heinze ein paar allgemeine Bemerkungen zur „Null-Toleranz-Strategie der DESG beim Thema Doping“ und über die „große Einigkeit“ mit der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada). Dieser Fall aber sei nun wirklich etwas anderes. „Es ist in dem Verfahren eine Reihe von Fragen aufgetaucht, die uns an die Seite von Claudia geführt haben“, sagte Heinze. „Wir als Verband haben ja auch eine Fürsorgepflicht.“ Die DESG steht zu ihrer „Claudia“ und attackiert deswegen den Weltverband scharf. „Wir bedauern, dass unserem Sport Schaden zugefügt worden ist durch das Urteil der ISU“, sagte Heinze.

Dass die wegen Blutdopings erstinstanzlich für zwei Jahre gesperrte Pechstein dem Sport Schaden zugefügt haben könnte, spielt in den Erwägungen der DESG-Oberen keine Rolle. Offenbar auch nicht, dass Nada-Chef Armin Baumert eher uneins mit der DESG ist, weil er glaubt, dass das Urteil sauber ist und Bestand haben wird. Laut eigener Darstellung verfolgt die DESG das Verfahren eigentlich als „neutrale Beobachterin“. Man werde nur deshalb – zusätzlich zu Pechstein – Berufung gegen die Sperre vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS einlegen, „um immer auf dem aktuellen Stand zu sein“, sagte Marius Breucker, Rechtsanwalt des Verbands in dieser Sache. Es ist ein merkwürdiges Verständnis von Unparteilichkeit. Auf der Pressekonferenz jedenfalls trugen die DESG-Vertreter nur Argumente vor, die das Urteil der ISU unterminieren sollen. Sie stehen neutral an der Seite von „Claudia“.

Kernpunkt der Kritik ist, dass der Weltverband mit der Sperre die eigenen Regeln verletzt habe. „In den Statuten der ISU steht, dass ein erhöhter Retikulozyten-Wert nicht einmal zu einer Schutzsperre berechtigt“, sagte Breucker. Dem widersprach die ISU unter Berufung auf die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada): Man habe „sich strikt an den Wada-Code gehalten“, sagte der Verbandsmediziner Harm Kuipers.

Pechsteins Retikulozyten-Wert hatte 14-mal den Grenzwert von 2,4 Prozent überschritten, zuletzt waren im Februar 2009 3-mal Werte zwischen 3,38 und 3,54 gemessen worden. Pierre Eduard Sottas, ein Sachverständiger aus dem Wada-Labor in Lausanne, gibt an, in bislang 10.000 entnommenen Blutprofilen nur eine Person mit ähnlich hohen Werten gefunden zu haben. Diese Person war krank. Pechsteins Werte wurden im Urteil als Indizienbeweis für Blutdoping beurteilt. Eine Wahrscheinlichkeit von 1:10.000 sei nicht gering genug für eine Verurteilung, so DESG-Jurist Breucker. Die ISU habe zudem nicht genug nach Erklärungen gesucht, etwa einer Blutanomalie. Nun hat Pechstein selbst Untersuchungen in die Wege geleitet.

Die Strategie der DESG zielt darüber hinaus auf vermeintliche Verfahrensfehler der ISU. So seien die Proben in Labors untersucht worden, die nicht von der Wada akkreditiert seien. „Bei all diesen Punkten geht es nicht um das Haar in der Suppe, sondern um die Grundlagen eines Indizienbeweises“, sagt Breucker. Im Prinzip stütze man den Indizienbeweis, „aber wir erhoffen uns vom Spruch des CAS auch Rechtssicherheit“, sagt Breucker, „etwa dass gesagt wird: Das und das sind die Kriterien für einen Doping-Nachweis über den Retikulozytenwert – etwa inwieweit alternative Erklärungen ausgeschlossen werden müssen.“ Wenn Pechstein und die DESG allerdings mit ihrer Berufung beim CAS in Lausanne durchkommen sollten, dann dürfte der Indizienbeweis im Anti-Doping-Kampf erst einmal passé sein. SEBASTIAN KRASS