Saltos für die Massen

TURNEN Die Weltmeisterschaften in London, deren sportlicher Wert nicht allzu hoch eingeschätzt wurde, haben mehr Menschen angezogen als erwartet. Die Veranstalter freuen sich über eine gelungene Generalprobe für die Olympischen Spiele 2012

LONDON taz | Das Fazit der am Sonntag zu Ende gegangenen Turn-Weltmeisterschaft ist aus sportlicher Sicht eindeutig: Die Dominanz der eleganten Akrobaten aus Asien setzt sich auch im nacholympischen Jahr fort. Chinesische Turnerinnen und Turner gingen in sieben Entscheidungen an den Start und gewannen sechs davon. Auch für den britischen Turnverband waren die Titelkämpfe ein Erfolg, und das nicht nur, weil der Liebling der Briten, die 24-jährige Beth Tweddle aus Liverpool, am Sonntag souverän das Bodenfinale gewann. Die WM war eine erste Generalprobe für die Olympischen Spiele 2012 und ist als solche zur allgemeinen Zufriedenheit verlaufen.

Seit der Internationale Turner-Bund beschlossen hat, jedes Jahr Weltmeisterschaften auszurichten, werden diese von den teilnehmenden Nationen gezwungenermaßen unterschiedlich gewichtet. Titelkämpfen zu Beginn eines neuen Olympiazyklus wird insbesondere von den traditionell stärkeren Ländern die geringste Bedeutung zugemessen. Das Niveau ist zumeist mäßig. Mit den neuen Wertungsvorschriften wird noch experimentiert; es gibt keine Mannschaftsentscheidung und die Stars der letzten Spiele fehlen fast immer. So auch hier: Mehrkampf-Olympiasieger Yang Wei hat seine Karriere beendet, und sein Pendant bei den Frauen, Nastia Liukin, nimmt gerade eine Auszeit. Den nachrückenden Turnerinnen und Turnern fehlt es an Schwierigkeiten und an Stabilität. Es wird sich noch viel tun bis zu den Spielen.

Doch in der englischen Hauptstadt war schon jetzt ständig die Rede von 2012. Dann werden die olympischen Entscheidungen im Turnen an gleicher Stätte fallen, im umgebauten Millennium Dome, dem größten Kuppelbau der Welt. 12.000 Zuschauer fasst die Arena, und es waren tatsächlich alle Plätze besetzt bei den Finalwettbewerben. Noch nie zuvor haben Turn-Weltmeisterschaften in einer so großen Halle stattgefunden und noch nie sind so viele Menschen gekommen. Der britische Verband hatte kein zu großes Risiko eingehen wollen und daher mit dem Betreiber der Arena, der Anschutz Entertainment Group, vereinbart, dass dieser für den Ausfall nicht verkaufter Tickets aufkommen müsse. Angesichts der drei Mal fast ausverkauften Halle wird der Konzern sich nun freuen.

Auch Matthias Fahrig, als einziger deutscher Turner am Wochenende noch im Einsatz, bekundete: „Die Stimmung ist irre, ich komme mit dem Podium hier sehr gut zurecht, ich fühle mich wohl!“ Das wird auch daran gelegen haben, dass er seine Kunst fehlerfrei vorführte, und für eine kleine tänzerische Einlage im Anschluss an die Bodenübung zusätzlich rauschenden Applaus bekam. „Die Leute zahlen hier so viel für die Eintrittskarten, da kann man auch ein wenig mehr zeigen“, scherzte er und war mit seinem sechsten Platz am Boden und dem vierten am Sprungtisch in erstaunlich hochklassigen Finals zufrieden.

„Das war ein guter Abschluss mit Matthias“, zollte DTB-Präsident Reiner Brechtken Respekt und hielt dennoch fest, „dass es noch eine ganze Menge Arbeit gibt“. Nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Fabian Hambüchen hatte lediglich Marcel Nguyen noch ein Finale erreicht, kam im Mehrkampf aber nicht über den zwölften Rang hinaus. Thomas Taranu, Philipp Boy und Sebastian Krimmer waren schon in der Qualifikation gescheitert. Bundestrainer Andreas Hirsch betrachtet die Sache auf seine nüchterne Art: „Man musste registrieren, dass wir nicht viele Leistungen haben, die ganz oben mit reingehören.“ Im Sommer 2012 möchte er mit einem Team wieder in die Arena kommen. Er weiß, dass bis zur Qualifikation für die Olympischen Spiele noch zwei Jahre Zeit sind, auch wenn es in diesen Tagen von London bisweilen so schien, als stünden die Spiele schon vor der Tür.

SANDRA SCHMIDT