Des Wieners Zähmung

TENNIS Jürgen Melzer konzentriert sich endlich auf das Wesentliche und schafft es so ins Finale der French Open

Männer, Viertelfinale: Rafael Nadal (Spanien/2) - Nicolas Almagro (Spanien/19) 7:6 (7:2), 7:6 (7:3), 6:4; Jürgen Melzer (Österreich/22) - Novak Djokovic (Serbien/3) 3:6, 2:6, 6:2, 7:6 (7:3), 6:4

■ Frauen, Viertelfinale: Samantha Stosur (Australien/7) - Serena Williams (USA/1) 6:2, 6:7 (2:7), 8:6; Jelena Jankovic (Serbien/4) - Schwedowa (Kasachstan) 7:5, 6:4

PARIS dpa | Nach dem Match seines Lebens stand Jürgen Melzer einfach nur so da und starrte vor sich hin. Die Hände in die Hüften gestemmt, verblüfft über sich selbst. „Ich dachte, ich habe es geschafft – ich habe es tatsächlich geschafft. Jeder verhält sich anders, ich habe einfach nur gestarrt“, beschrieb Melzer seine Gedankenwelt nach dem 3:6, 2:6, 6:2, 7:6, 6:4-Coup gegen den Weltranglisten-Dritten Novak Djokovic bei den French Open. Im nicht mehr ganz jungen Tennisalter von 29 Jahren erreichte er sein erstes Grand-Slam-Halbfinale. Letzter Österreicher, dem das gelang, war Thomas Muster bei seinem Roland-Garros-Triumph im Jahre 1995. Der Wiener Melzer hat alle Lügen gestraft, die ihm einen solchen Karrieresprung nicht mehr zugetraut hätten.

Vorbei sind damit auch die Zeiten, in denen er als „Tennis- Casanova“ mit dem Schlafzimmerblick für mehr Schlagzeilen sorgte als mit seinen Leistungen auf dem Tenniscourt. Zu den Partnerinnen des Weltranglisten-27. zählten die Kolleginnen Anastasia Myskina (Russland), Dominika Cibulkova (Slowakei) und Nicole Vaidisova (Tschechien), inzwischen ist er seit mehr als einem Jahr mit der österreichischen Schwimmerin Mirna Jukic liiert, die von den Spielen in Peking eine Bronzemedaille mit nach Hause brachte. Jukic saß beim nervenaufreibenden 4:15-Stunden- Fünfsatzmatch gegen Djokovic unter den Zuschauern und mochte zeitweise gar nicht mehr hinschauen. Doch Melzer kam nach zwei Sätzen und einem Break Rückstand zurück ins Spiel. „Ich dachte mir, Viertelfinale spielt man ja nicht jeden Tag, da kann man sich gefälligst zusammenreißen“, sagte Melzer später.

Schwedische Impfung

Jukic (24) wird auch am Freitag am Platz mitfiebern, wenn es ihr Freund mit dem Sandplatz-Giganten Rafael Nadal aus Spanien zu tun bekommt. Um Melzers Hals baumelt dann wieder ein Mickey-Mouse-Glücksanhänger, sie trägt das Gegenstück: Minnie Mouse. Melzer scheint ruhiger in seinem Privatleben und damit auch solider in seinem Tennisspiel geworden zu sein. Immer schon hatte der Wimbledon- Junioren-Sieger von 1999 als kompletter Spieler mit viel Potenzial gegolten. Die nötige Konstanz habe ihm aber erst der frühere Weltklassespieler Joakim Nyström eingeimpft, der ihn seit Ende 2007 coacht, meinte der strikte Antialkoholiker Melzer. Reichlich Selbstbewusstsein holte sich Melzer beim Triumph bei seinem Heimturnier in Wien im vorigen November. „Klick“ habe es da gemacht.

Variabler als Muster

In Österreich hat Melzer eine neue Tennis-Euphorie ausgelöst: Der ORF übertrug erstmals seit Muster-Zeiten wieder umfangreich live von einem Grand-Slam-Turnier. „Es ist vollbracht“, schrieb am Donnerstag die Tageszeitung Die Presse. Muster hatte Melzer schon den Sieg über Djokovic zugetraut und dem Mann mit dem nach hinten gedrehten Baseballcap bescheinigt, einen „Reifeprozess“ durchgemacht zu haben.

Immer wieder kommt der Vergleich mit dem anderen berühmten österreichischen Linkshänder. Melzer aber weist darauf hin, dass die beiden spielerisch „wie Tag und Nacht“ seien – Melzer ist variabler. Aber natürlich sei der Steirer Muster als Athlet ein Vorbild gewesen. „Wenn du aufwächst und die Nummer eins der Welt aus deinem Land nicht dein Idol ist, dann ist irgendwas falsch mit dir.“

Die Top-20 der Welt – eigentlich sein Ziel für das Jahresende – hat Melzer mit dem Halbfinal-Einzug bereits geknackt, es ist sein Jahr, wie das seines Lieblingsfußballclubs FC Bayern München. Gegen den viermaligen French-Open-Champion Nadal, der in Paris eine Match-Bilanz von 36:1 hat, wird Melzer die Flucht nach vorn suchen: „Wenn ich mit ihm von hinten herumspiele, kann ich nicht viel gewinnen.“