RAHMEN- UND SPEICHENBRUCH
: Der wackere Pauschalist

DOPING Die versammelte Radsportszene schießt sich auf einen 78-Jährigen ein. Warum nur?

In seiner Post finden sich Schmähbriefe, in E-Mails Drohungen

Sie mögen Ettore Torri nicht. Der ältere Herr, mittlerweile recht betagt, überbringt unangenehme Botschaften. Seit einiger Zeit fungiert er als Chefankläger des italienischen Olympischen Komitees. Er knüpft sich gern dopende Sportler vor. Der ehemalige Staatsanwalt betrachtet sein Amt nicht als Ruheposten, er ermittelt engagiert. In der Radsportszene ist Signore Torri deswegen verhasst. In seiner Post finden sich Schmähbriefe, in E-Mails Drohungen. Vor seinem Büro fanden schon Demos der Radsportfamilie statt.

Auch jetzt ist der Aufschrei groß. Torri hat gesagt, im Radsport sei praktisch jeder gedopt. Das klingt pauschal. Aber Torri, der hinter die Fassade geblickt und reichlich Empirie betrieben hat, ist nur ein Freund der Logik. Er bedient sich eines wissenschaftlichen Kniffs aus der Sozialforschung: dem induktiven Schluss vom Einzelfall aufs Allgemeine. Halten wir also fest: Der Radsport ist verseucht, durch und durch. Torri hat dafür sogar ein bisschen Verständnis, denn der Profi müsse sich mit der Kurbelei ja sein Brot verdienen. In einer Szene, die durchdrungen ist von Pharmaspezialisten, sei es zwangsläufig, dass der Jungprofi früher oder später die Riten der Alten imitiere.

Logisch, dass Torri wieder einmal angefeindet wird, auf Teufel komm raus. Der Rennstall Liquigas will ihn anzeigen, weil man sich diffamiert und über den Kamm geschoren fühlt; in dem Team steht auch Radstar Ivan Basso unter Vertrag, der in den vergangenen Jahren wegen Dopings gesperrt worden war. Liquigas fordert das Nationale Olympische Komitee auf, Torri nicht länger im Amt zu belassen. Der ehemalige Profi Andrea Noè will ebenfalls klagen. Und der große Finsterling des internationalen Radsports, Pat McQuaid, macht auch mit bei der Hatz auf Torri. „Der Radsport zahlt für seinen Kampf gegen Doping einen extrem hohen Preis. Da können diese Aussagen alle, die diesen Sport ausüben und lieben, nur tief enttäuschen“, säuselt der UCI-Verbandschef. Er ist ein Meister der Vertuschung – im Gegensatz zum wackeren Ettore Torri. MARKUS VÖLKER