Der Tathergang

ORTSTERMIN Die kriselnde Erfolgsschwimmerin Britta Steffen setzt vor 25 ratlosen Journalisten zu einer Erklärung an. Aber wieso tut sie das, und warum gerade jetzt?

Britta Steffen verfügt über alles andere als über jene musterschülerhafte Normalbiografie ihres Freundes Paul Biedermann

AUS BERLIN TORSTEN HASELBAUER

Da kommt sie, pünktlich um 18.00 Uhr, forsch durch die Tür. Freitagabend, dritter Stock, Raum 302, Pressekonferenz im Olympiastützpunkt Hohenschönhausen, tief im Osten Berlins. Das biedere Konferenzzimmer ist voll gestopft mit Journalisten und Kameras. Britta Steffen, Doppelolympiasiegerin, Doppeleuropameisterin, Doppelweltmeisterin und Weltrekordlerin, will hier etwas erzählen. Etwas, was sie ernsthaft „Tathergang“ nennt.

Steffen hat für ihre Version des 28. Juli, als sie fluchtartig die Schwimm-WM in Schanghai verließ, extra das Höhentraining in der Sierra Nevada in Spanien unterbrochen und ist nach Berlin geflogen. Mit einem festen Handschlag begrüßt sie jeden der 25 Journalisten persönlich. Das wirkt, wie so einiges an diesem Abend, einstudiert, verfehlt aber dennoch nicht seine Wirkung. Es demonstriert: Steffen ist hier angetreten, um wirklich nichts mehr dem Regime des Zufalls zu überlassen.

Die Athletin hat sich eine knallrote Trainingsjacke übergezogen, trägt Jeans und Turnschuhe. Freizeitlook eben. Als Britta Steffen sich vorne an den Tisch und hinter mindestens zehn Mikrofone setzt, wird sie rechts und links von ihren Managerinnen flankiert. Die haben sich einen strengen Hostessenlook verpasst, was das betont lockere Erscheinungsbild von Britta Steffen kontrastiert. In der Ecke brummt ein Kühlschrank. Das stört jetzt aber und geht vor allem den Fernsehleuten auf den Geist. Endlich zieht jemand den Stecker raus. Britta Steffen fängt an zu erzählen.

Genau 46 Tage ist es her, als für sie nach einem 16. Platz im Vorlauf über 100 Meter Freistil eine Welt zusammenbrach – und sie nicht mehr anders konnte, als aus Schanghai abzureisen. Steffen berichtet mit bemerkenswerter Offenheit über das, was da im fernen China in ihr vorging. Wie sie mit ihrem Freund, dem Schwimmweltmeister Paul Biedermann, im Taxi saß und ihr auf dem Weg zum Hotel der Gedanke durch den Kopf schoss, die WM abzubrechen. Einfach so. Wie sie dann, wieder im Taxi, auf dem Weg zum Flughafen den Direktor des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV), Lutz Buschkow, über ihre Abreise unterrichtete. Und wie die 27 Jahre alte Schwimmerin schließlich zehn Stunden am Flughafen in Schanghai saß, allein und verlassen und um 4.500 Euro ärmer. So viel Geld musste Steffen nämlich für den selbst organisierten Rückflug in die wohlig-warme Heimat zahlen. „Es war sicher übereilt, aber ich würde es heute wieder machen“, erklärt sie mit fester Stimme. Da hatte sie schon zwanzig Minuten ohne Unterlass geredet.

Britta Steffen kämpft gegen ihre verblassende Strahlkraft an. Sie müht sich redlich und aufrichtig ab, nicht wieder in diese rasante Abwärtsspirale zu kommen. Zweimal hat sie bereits eine Auszeit vom Hochleistungssport nehmen müssen. Das soll ihr jetzt, zur Dämmerung ihrer Karriere und kurz vor den Olympischen Spielen in London, nicht wieder passieren. Es widerspräche ihrem Perfektionsstreben und den Bestrebungen ihres hochkomplexen Soziotops aus Sponsoren, Managerinnen, Freunden und Familie.

2004 machte die in Schwedt geborene Steffen ein Jahr Schluss mit dem Sportbusiness. Ein Burn-out-Syndrom zwang sie dazu. Seitdem hat die Psychologin und Mentaltrainerin Friederike Janofske das Stimmungsmanagement bei Britta Steffen übernommen. 2005 kehrte die Athletin wieder in den Sport zurück, und zwar überaus erfolgreich. Doch nach der WM 2009 legte sie eine Viruserkrankung für 15 Monate lahm. Die WM in Schanghai in diesem Juli war schon ihr zweites Comeback, und so etwas geht nur selten gut. Steffen verfügt also über alles andere als über jene musterschülerhafte Normalbiografie. Ihr Leben war und ist immer wieder von beachtlichen Brüchen gekennzeichnet. Ganz im Gegensatz zu der Vita ihres Freundes Biedermann, der immer nur oben ist. Steffens Geschichte wäre im Theater sicher das interessantere Stück und deshalb sind auch so viele Journalisten gekommen an einem Freitagabend, 18.00 Uhr.

Steffen erklärt nun doch, dass die Abreise aus Schanghai ein Fehler war, dass sie später sogar „Scham, Peinlichkeit und Schwäche darüber gefühlt habe“. Sie steigt dann in einen fast skurril anmutenden Dialog mit den Journalisten ein. Das hat den Sinn, die Dramaturgie der doch trägen Pressekonferenz noch einmal ordentlich zuzuspitzen. „Was meint ihr, soll ich für mein Verhalten in Schanghai bestraft werden?“, fragt sie wie ein kleines Kind. So etwas müsse der Schwimmverband entscheiden und am besten mit Steffen gemeinsam, sagt dann einer der Journalisten peinlich berührt. Doch das ist wieder eine andere Geschichte. So wie die vom „Hoch-Intensitäts-Training“, die Steffen auch noch zum Besten gibt. Sie hat das Training „als Experiment“ vor der für sie so schlimmen WM absolviert. „Im Kreis stehen zehn Kraftmaschinen, acht Wiederholungen, dazwischen 3 Sekunden Pause. Ich sah aus wie eine Bodybuilderin“, so Steffen. Man fragt sich, welche Zumutungen die angeblich so mündigen Athleten wie Steffen noch alle über sich ergehen lassen. Lässt es dann aber doch lieber, weil einem die Antwort richtig Angst machen könnte.

„Seid ihr alle zufrieden? Freut mich. Auf Wiedersehen!“, ruft Steffen nach einer Stunde etwas zu hastig in den Raum hinein. Die Pressekonferenz ist damit vorbei. Immerhin hat sie dieses Finale selbst bestimmt. „Ich wollte hier Fragezeichen zu Ausrufezeichen machen“, erklärt sie noch kurz vor dem Rausgehen. Vielleicht war es aber auch genau umgekehrt.