Der Anti-Fußballer sorgt für das Comeback

HSV Mit ihrer besten Saisonleistung stoßen die Hamburger den FC Bayern München vom Tabellenthron

Als David Jarolim das Spielfeld verließ, waren viele der 57.000 in der Hamburger Imtech-Arena versammelten Fans aufgestanden. Sprechchöre hatten den Tschechen in der Nachspielzeit gefeiert, als das 1:1 zwischen dem Hamburger SV und dem FC Bayern München fast besiegelt war. Welch ironische Wendung: Vor einigen Tagen noch hatte der HSV Jarolim nahegelegt, den Klub ablösefrei zu verlassen. Der 32-Jährige war geschmäht worden als Anti-Fußballer, als trauriges Relikt einer vergangenen Ära.

Seinen neuen Ruhm nutzte er dennoch nicht zur naheliegenden Retourkutsche: „Schade, dass wir das Ergebnis nicht über die Runden gebracht haben, aber es war eine gute Mannschaftsleistung“, kommentierte er so trocken wie uneitel.

„Füreinander gekämpft“

Freilich genoss er es, plötzlich wieder als eine der wichtigsten Säulen in der HSV-Defensive gewürdigt zu werden. „Er ist sehr erfahren, und das brauchten wir nach dem 1:5 gegen Dortmund“, sagte HSV-Trainer Thorsten Fink. Der Coach freute sich am Samstagabend über die beste „Leistung, seit ich hier Trainer bin. Alle haben füreinander gekämpft und die Schwächen des Nebenmanns ausgemerzt, da war viel Leidenschaft dabei“, sagte Fink. Tomás Rincon, Jarolims Kompagnon im defensiven Mittelfeld attestierte seinem Team „die beste taktische Leistung in dieser Saison“.

Der HSV bot seinen Fans indes nicht nur taktische und kämpferische Klasse. Auch individuell überzeugten viele Profis. Kapitän Heiko Westermann, vor der Saison noch von eigenen Fans ausgepfiffen, gewann Zweikampf auf Zweikampf. Von den Außenverteidigern Dennis Diekmeier und Dennis Aogo sagte Fink später, er habe gar nicht gewusst, „dass die beiden so gut verteidigen können“. Eigentlich hatten die beiden der hoch gelobten Flügelzange aus Arjen Robben und Franck Ribéry nur den einen oder anderen Weitschuss erlaubt.

Weltklasse im Tor

Auch Torwart Jaroslav Drobny hatte einen famosen Tag erwischt: Wie er den Flachschuss von Thomas Müller in der 70. Minute parierte, das war Weltklasse. Es passte also viel. Auch die Führung in der 23. Minute, die Paolo Guerrero mit einem feinen Heber vorbereitete und Jacopo Sala per Direktschuss ins lange Eck besorgte, schien das perfekte Drehbuch für diesen Tag.

„Wir hätten die Bayern fast so weit gehabt!“, sagte Westermann. „Der Sieg wäre möglich gewesen, wir hatten viele Chancen.“ Zumal der Ausgleich durch den Ex-HSVer Ivica Olic (71.) dem Zufall entsprungen war.

Vor allem der Chance, die Heung Min Son, von Ivo Ilicevic geschickt, freistehend vor Manuel Neuer in der 76. Minute verpasste, trauerten sie nach. „Den hätte Mladen Petric wahrscheinlich mit verbundenen Augen gemacht“, sagte Fink später mit etwas bitterem Lächeln. Und doch: Die Fans feierten der fiesen Kälte zum Trotz noch lange nach dem Abpfiff. Nicht weniger als eine sportliche Wiederauferstehung hatten sie in den 90 Minuten zuvor gesehen.  ERIK EGGERS