Bildung heute, gestern und morgen

Bildungsarmut: Was man gegen ungerechte Schulen tun kann:Mit Ute Erdsiek-Rave (SPD), Bildungsministerin und stv. Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins; Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung; Jens Großpietsch, Rektor des „Wunders von Moabit“ (SZ), der Verwandlung einer Ghettoschule in eine der besten deutschen Schulen, die Heinrich-von-Stephan-Schule Berlin Lernen2.0: Schule im Aufbruch zu einem neuen Lernverständnis: Mit Erika Wey-Falkenhagen, Rektorin der modernsten Privatschule Deutschlands, des „Campus Klarenthal, Wiesbaden“; Ulrich Klotz, IG Metall, Vordenker des Unternehmens 2.0; Olaf Kleinschmidt, der IT-fitteste Lehrer Deutschlands 2008; Mandy Schiefner, Uni Zürich, stv. Leiterin der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik Das versteinerte Gymnasium: Die Zitadelle reformiert sich – oder sie geht unter: (Moderation Anna Lehmann) Mit Christa Goetsch, Senatorin für Schule und Berufsbildung und stv. Bürgermeistern der Hansestadt Hamburg; Günter Offermann, Rektor des besten deutschen Gymnasiums, Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach; Cordula Heckmann, Leiterin der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“, Berlin

Was die Bildungspodien des Tu-was-Kongresses mit Zukunft, Gerechtigkeit und dem neuen Lernen zu tun haben

Heute stehen hier noch aufgelassene Gewächshäuser. Aber bald müssen die Glaskästen einem Theater weichen. Es soll eine Bühne entstehen, umgeben von Hunderten Zuschauerplätzen. Im Theater werden Schüler proben und spielen. Für ihre Eltern– vor allem aber für sich. Denn das Spielen, das Singen, auch das Schreiben, Choreografieren und Ausstatten von Stücken gehört zur Lernidee dieses neuartigen Campus. Im Lehrerzimmer stapeln sich neue Laptops. Und in den Klassenzimmern können die Schüler ihre Mindmaps via drahtlose Übertragung vom Computer an die Tafel werfen. Die heißt hier selbstverständlich nicht mehr Tafel, sondern active board.

Was sich anhört wie ein Bericht aus dem Jahr 2020, ist in Wahrheit eine Skizze des real existierenden Campus Klarenthal in Wiesbaden, der neuesten und wohl modernsten Schule Deutschlands. Die pädagogische Leiterin, Erika Wey-Falkenhagen, wird eine der Sprecherinnen der Bildungspodien des taz-Kongresses sein. Wir wollen mit ihr darüber sprechen, was das neue, hochtechnisierte „Lernen2.0“ mit dem individuellen und selbständigen Lernen an ihrer Gemeinschaftsschule zu tun hat. Mit ihr diskutieren zwei Insider der Web2.0-Welt, Olaf Kleinschmidt und Ulrich Klotz.

Der Campus Klarenthal ist aber zugleich ein Kontrastbild. Es ist der Widerspruch zum häufig tristen Alltag deutscher Schule: heruntergekommene Lehranstalten, die den Lerngeist des 19. Jahrhunderts atmen. Die Anordnung der Tische ähnelt heute noch verdächtig der im preußischen Schulmuseum Schloss Reckahn unweit von Potsdam. Und in den Gymnasien ließe sich mit wenig Mühe eine Neuauflage des Kultfilms „Feuerzangenbowle“ drehen – unterrichtet wird immer noch von vorne, nur dass die Schulräte nicht mehr mit Frack und Zwicker auf der Nase herumstolzieren. In den Katakomben dieser alten Lehrplanschulen entsteht wenig neues Wissen, dafür reichlich Bildungsarmut. Auch die leicht verbesserten Werte des jüngsten Pisavergleichs ändern nichts daran, dass es einen stabilen Sockel von 20 Prozent Risikoschülern gibt. Das bedeutet: Ein Fünftel der deutschen 15-Jährigen lesen auf dem Niveau von Grundschülern. Heute, 2009.

Wir wollen daher auf dem taz-Kongress nicht nur in die rosarote Zukunft virtueller, nonformaler Peer-to-Peer-Lernwelten blicken. Sondern wir werden uns den Kellerkindern des deutschen Schulwesens genauso zuwenden wie seinen Trutzburgen, den Gymnasien. Anna Lehmann, Politikredakteurin mit dem Schwerpunkt Schule, testet Reformfreude und -fähigkeit der beliebtesten deutschen Schulform. Auf ihrem Podium wird der Rektor des Schulpreisträgers Schiller-Gymnasium mutmaßlich sein Credo für die Penne wiederholen: „Entweder das Gymnasium reformiert sich – oder es geht unter.“ Und Hamburgs Vizebürgermeisterin Christa Goetsch (Grüne) wird möglicherweise erzählen können, wie beinhart die gymnasiale Lobby die Privilegien ihrer Schulform zu verteidigen weiß. Die Schulreform geht in Hamburg in ihre heiße Phase: Wir sprechen darüber.

Anfang der Woche stellte das Nationale Bildungspanel in Bamberg die Lebensverlaufstudien vor, mit denen es Lernbiografien von 60.000 Menschen von der Wiege bis zur Bahre untersuchen will. Ein Kultusminister nannte das eine „außerordentlich gute Möglichkeit, sich über neue Förderstrategien ... Gewissheit zu verschaffen.“ Warum wirft der Mann nicht einfach einen Blick in die sechs Pisastudien, die seit dem Jahr 2000 die immer gleiche Risikogruppe zeigen? Wie kann es sein, dass der Befund der offenkundigen, systemischen und gewollten Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsschichten sich nur so zäh in das Bewusstsein der Politik zu schieben vermag?

Berliner taz-Leser (&innen) und taz-Redakteure (&innen) bieten ihr Bett für eine oder beide Nächte während des Kongresses vom 17. bis 19. April 2009.Die Schlafbörse wird auf 30jahre.taz.de präsentiert. Auch Sie können mitmachen: Sie schreiben uns eine kurze E-Mail mit Angaben zu Bett (Couch/Luftmatratze / Zeltplatz im Garten o. Ä.), Kiez (wo?) und Nacht (Fr./Sa., Sa./So.: beide oder eine Nacht). Im Gegenzug freut man sich über: Flasche Wein/Adresse im Vorarlberg/geputzte Fenster o. Ä. Im Idealfall mit Foto an: tazkongress@taz.de

Tickets: Kartenvorverkauf für die Gala und den Kongress gibt es unter www.taz.de/30 Jahre oder im tazshop in der Rudi-Dutschke-Straße 23 in Berlin

Das sind Fragen, auf die wir uns Antworten von dem bestinformierten Bildungsarmuts-Podium erhoffen: Schulministerin Ute Erdsiek-Rave, die eine grundlegende Reform des schleswig-holsteinischen Schulwesens begonnen hat. Und Jutta Allmendinger, die zu den Bildungspanelforschern gehört. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin hat den Begriff der Bildungsarmut in die Diskussion eingeführt, als es den weltweiten Schulwettbewerb Pisa noch gar nicht gab. Heute sagt sie: „Schule ist definitiv ungerecht.“ Jens Großpietsch, der Rektor der Berliner Heinrich-von-Stephan-Schule, kann von einer kleinen Schulrevolution berichten: An der ehemaligen Ghettoschule kann in einigen Jahren das erste Abitur vergeben werden. Die Diskussion des Podiums zu Bildungsarmut soll zugleich das Oberthema des Kongresses aufgreifen: Was heißt Gerechtigkeit heute? Wo wird sie verletzt? Wie kann man diesen fundamentalen gesellschaftlichen Wert lebbar machen?

Die Nachfrage nach den Bildungspodien des „Wie wollen wir leben?“-Kongresses im Jahr 2001 hatten die Erwartungen der taz weit übertroffen. Das soll uns nicht wieder passieren.

Christian Füller ist Bildungsredakteur der taz. Er hat 2008 „Schlaue Kinder, schlechte Schulen“ (Droemer-Knaur) veröffentlicht. Sein neues Buch „Die Gute Schule“ erscheint am 2. April.