Die Phase der Selbstanerkennung

Während die Großen der Diskussion auf dem Podium Rot-Grün-Rot – ein Zukunftsprojekt? lauschen, bieten wir den Kleinen einen Kreativ-Workshop an. Am Sonntag, 19. April, von 11 bis 13 Uhr, betritt die Künstlerin und Kinderbuchautorin Rotraut Susanne Berner mit den Kindern eine Fantasiewelt: Jeder malt, wozu er Lust hat, was ihm einfällt oder was für ihn wichtig ist. Aus Pappe basteln die Kinder kleine Guckkästen, in die sie ihre Bilder schieben können. Bunt gemischt oder zuvor überlegt sortiert entstehen dann die spannendsten Geschichten. Teilnehmen können 25 Kinder zwischen 8 und 11 Jahren. Wer mitmachen will, meldet sich bei Anita Knierim: geno@taz.de oder Tel. (0 30) 2 59 02-1 95. Wir freuen uns auf dich.

Der Soziologe Heinz Bude über das Prekäre an der Krise und 60 Jahre Bundesrepublik

taz.mag: Herr Bude, was wird aktuell als größte Ungerechtigkeit empfunden?

Heinz Bude: Ich glaube, die Leute empört am meisten die Idee des leistungslosen Einkommens. Etwas ist da ins Ungleichgewicht geraten …

Wodurch?

Jedenfalls nicht durch unternehmerische Initiative und heftigen Arbeitseinsatz. Es waren vielmehr die ganz normalen Rentiers in der Mitte unserer Gesellschaft, die durch ihre erheblichen Spareinlagen eine Schieflage in der Vermögensverteilung erzeugt haben: die Erben des Wirtschaftswunders der Nachkriegszeit. Die oberschlauen Rentiers, die die Aktienmärkte und die Fondsgesellschaften für sich entdeckten. Unter dem freundlichen Nicken der Private-Banking-Beraterin stuften sie sich in immer höhere Risikokategorien ein.

Im Sinne des Spruchs: Die Ehrlichen sind die Dummen?

So ist es. Jene, die hart gearbeitet und sich an die Regeln gehalten haben, die müssen jetzt für die Verluste derer aufkommen, die ihr Geld nur auf die Bank tragen.

An die Regeln gehalten? Die Neoliberalen beanspruchen dies für sich auch.

Richtig. Es ist zu einfach, die jetzige Krise auf die Neoliberalen zu schieben. Es gibt viele, die in den letzten Jahren bei ihren Banken ein bisschen mehr riskierten.

Weil die Menschen immer gieriger wurden?

Ja. Allgemein galt: „Ich will nicht als der Blöde dastehen, der sich mit 3 Prozent zufriedengibt. Warum nicht 6 Prozent?“

Weshalb erwächst aus dieser Krise keine Wut?

Weil sich in Deutschland die Krise zwar ankündigt, aber wir sie noch nicht fühlen. Nicht einmal jene aus den Mittelklassen, die 30 Prozent ihres Vermögens verloren haben, geraten nun in eine schwierige Lage.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir etwa den Notar, der bis zum Alter von 56 hart arbeitet, seine Praxis verkauft und den Rest seines Lebens das tut, was ihm wichtig ist. Davon gibt es einige. Die sind letztlich ein bisschen um ihre Selbstverwirklichung betrogen worden.

Prekär Beschäftigte haben diese Luxussorgen ja nicht.

Darüber wird viel Unfug geredet. Dass wir mehr prekäre Jobs als früher haben, trifft zu. Davon gehören viele zu jenen anderthalb Millionen Jobs, die in den vergangenen Jahren entstanden. Die sind oft prekär, das war politisch auch so gewollt. Gefährdet sind aktuell die harten Jobs, bei den Banken, im Maschinenbau.

Was wäre jetzt zu tun?

Im Prinzip spricht sich niemand gegen den Kapitalismus aus. Stattdessen sagen alle, man müsse ihn stabilisieren, damit nicht alles den Bach runtergeht.

Welche Konstellation ist im Hinblick auf die Bundestagswahl besonders begünstigt?

Die Hamburger Konstellation. Mit einer grünen Partei, die wirklich wieder auf die Beine kommen würde, die weiß, dass sie diese prekäre Klientel mit hohem Bildungshintergrund hat, vereinigt sich mit einer selbstsicheren, bürgerlichen Partei. Also eine nicht von Ressentiments getriebene CDU und die modernitätsoffenen Grünen. Die SPD fällt momentan raus, weil sie völlig zerrissen ist zwischen Rationalität und Ressentiments.

Und wie wäre es mit Rot-Rot-Grün?

Zum Themenfeld Gerechtigkeit und Politik in Deutschland wird es auf dem tazkongress (17. bis 19. April, Haus der Kulturen der Welt, Berlin) eine Reihe von Veranstaltungen geben, unter anderem mit Heinz Bude (Kongress-Samstag, 12 Uhr, Pisa und die Statuspanik der Mitteklasse), zur selben Zeit auch ein Vortrag von Monika Hauser (Gerechtigkeit erkämpfen).

Am Kongress-Sonntag finden zwei Podien aus Anlass der nächsten Bundestagswahlen statt. Um 10.30 Uhr zunächst Rot-Grün-Rot – ein Zukunftsprojekt? (mit Bärbel Höhn, Grüne, Bodo Ramelow, Die Linke, Karl Lauterbach, SPD, Einführungsworte vom Politikanalysten Franz Walter, moderiert von Stefan Reinecke, taz). Um 12 Uhr wird unter dem Titel Wer hat bloß Angst vor Schwarz-Grün? diskutiert. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen, erörtern, was bundespolitisch miteinander ginge und was nicht. Die Einführung gibt abermals Franz Walter, die Moderation übernimmt Ralph Bollmann, taz. JAF

Keine Chance. Die Linke hat im Grunde ihren Höhepunkt überschritten. Ihre Geschichte war das typische Produkt einer Hochkonjunkturphase, sie wird verlieren und sich dann auf niedrigerem Niveau stabilisieren.

Können Sie kurz Ihre Utopie zu unserem Land umreißen?

Wir müssen versuchen, unsere Verhältnisse so zu festigen, dass alle Leute im Boot bleiben können. Und noch Platz bleibt für einige, die dazukommen müssen.

Und was sagt das über die BRD 60 Jahre nach ihrer Gründung?

Dass die meisten Leute, selbst die prekär lebenden, eigentlich zufrieden sind mit diesem Land. Wir sind als Land in der Phase der großen Selbstanerkennung, und zwar nach der Einheit.

Eine nostalgische Geste?

Nein. Nach vorne geschaut, heißt es: Wir wissen noch gar nicht, wie sich das Land durch Migration gewandelt hat. Wir sind dabei, uns in einer offenen Gesellschaft jenseits der ethnischen Homogenität zurechtzufinden. Darin liegen keine Gefahren, aber doch ein paar Risiken. INTERVIEW: JAF