Brillant bekloppt

Am Lustprinzip orientiert: Sascha Lobo und Kathrin Passig werkeln an der Instandsetzung des Überbaus. Sind sie die neuen Vordenker der Arbeitsgesellschaft?

VON CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Guter Rat ist nicht geheuer. Je mehr davon unters Volk gebracht wird, desto überzeugter kann man von seiner Wirkungslosigkeit ausgehen. Paul Watzlawick sah sich daher bekanntlich 1983 veranlasst, mit seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“ einen Berg von 70er-Jahre-Wohlfühlbüchern vom Tisch zu fegen. Ähnlich patzig im Gestus widmen sich jetzt Kathrin Passig und Sascha Lobo dem ganze Regenwälder verschlingenden Ratgeberthema persönliche Arbeitsorganisation.

In dem im Herbst erschienenen Vademecum „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“ breiten die beiden genüsslich aus, wie wenig erfolgversprechend gängige Tricks wie To-do-Listen oder eine disziplinierte Strukturierung des Arbeitstags sind. Mit dem Arbeiten aber ist es ihnen ernst. Schließlich sei „der Mensch erwiesenermaßen am glücklichsten, wenn er arbeitet, und zwar dann, wenn es sich um eine schaffbare, aber fordernde und vor allem selbstgewählte Aufgabe“ handele.

Zu erreichen ist dieser schöne Zustand nur, glaubt man den Autoren, indem man sich den Spaß nicht durch die Verächtlichmachung des eigenen Aufschiebeverhaltens verderbe. Denn in Wirklichkeit würden gerade die andernorts geschmähten Persönlichkeitsmerkmale „Faulheit, Hybris und Ungeduld“ am Ende zum effektivsten Arbeiten führen. Vorausgesetzt, es sei durch „die belebende Kraft der Deadline“ befeuert.

Als Adressaten des Bands dürfen alle gelten, die unter „Prokrastination“ leiden, dem Vertagen wichtiger Arbeiten etwa durch Schlafen, Sockenbügeln oder ausgiebiges Computerspielen. Also das wachsende Heer derer, lässt sich hinzufügen, die einem freien Beruf nachgehen. Zugleich richten Passig und Lobo einen dringenden Appell an Auftrag- und Arbeitgeber sowie staatliche Stellen, die Bedingungen der Arbeit gefälligst entsprechend dem weit verbreiteten „Lifestyle of Bad Organisation“, kurz „LOBO“, einzurichten.

Der Duktus dabei ist bisweilen brillant bekloppt: „Wer einen am Lustprinzip orientierten Lebenswandel führt, ist verpflichtet, dabei auch glücklich zu sein. Nur so kann man seine Mitmenschen vom Pfad der freudlosen Pflichterfüllung abbringen.“

Passig und Lobo gehören der Berliner Zentralen Intelligenz Agentur an, jenem Zusammenschluss von freiberuflichen Internetkreativen, die vor zwei Jahren für sich und ihresgleichen den Begriff „digitale Boheme“ erfanden. Seither machen sie sich um die Neuzusammensetzung der Arbeit ein paar deutlich weniger verkniffene Gedanken als die über sämtliche politischen Lager verteilten Gralshüter von Vollbeschäftigung und Tarifvertrag.

Dieses Werkeln an der Instandsetzung des Überbaus hat schon eine stürmisch begeisterte FAZ auf den Plan gerufen. Der plauderhafte Antiratgeber wurde dort umgehend zu einem donnernden „Manifest zur Krise“ hochgejazzt. Durch das Wanken der Finanzmärkte dazu verleitet, von einer allgemein „prekären Lebenssituation“ zu sprechen, lobte die FAZ Passig und Lobo als „Vordenker der neuen Arbeitsgesellschaft“. Schließlich ginge es heute „um ein Herauskommen aus nicht mehr gedeckten Gewohnheiten, um eine Art evolutionären Sprung der Lebensführung“.

Für solcherlei Reitkunst hält die Zentrale Intelligenz Agentur allerdings einige Steigbügel bereit. So blasen Passig und Lobo mit der wiederholten Lobpreisung des neuen, in manchen Firmen erprobten „Result only work environment“ sicher ins falsche Horn: Den vom Normalarbeitstag geplagten Mitarbeitern wird dabei angeboten, ein zuvor festgelegtes Ergebnis in beliebiger Zeit zu erledigen. Dagegen ist einzuwenden, dass Unternehmen diese Offerte oft nur dazu nutzen, den tatsächlich für eine Aufgabe benötigten Zeitaufwand zu ermitteln. Nach einer Übergangszeit führen sie dann den alten Achtstundentag wieder ein, und zwar mit deutlich reduzierter Belegschaft.

Aber auf der anderen Seite besteht, wie in „Dinge geregelt kriegen“ immer wieder moniert, bei der Anpassung von Arbeitszeiten an unterschiedliche Lebensgewohnheiten immer noch erheblicher Handlungsbedarf.

Das Changieren zwischen emanzipativen und naiven Vorschlägen zur Verbesserung von Arbeitsverhältnissen zeugt vielleicht von einer ausgeprägten Rechts-links-Schwäche. Man muss aber auch sehen, dass der Umgang mit den derzeit virulenten Widersprüchen um das Thema Arbeit notwendig immer wieder in einem Eiertanz mündet. Passig und Lobo bringen mit ihrem Buch das Gezappel auf eine Art Probebühne.

Kathrin Passig, Sascha Lobo: „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“. Rowohlt Verlag, Berlin 2008, 287 Seiten, 19,90 Euro