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: Das Gewicht der Geschichte

Junot Díaz, der ganz großartige Autor, dessen neuen Roman wir Ihnen auf der gegenüberliegenden Seite vorstellen, wurde gerade eben von der dpa gefragt, ob sein Buch auf persönlichen Erfahrungen basiere. „Fast gar nicht“, hat Díaz geantwortet und angefügt, das Buch handle vielmehr von Themen, die ihn interessierten: Außenseiterdasein, wie es ist, ein kluger junger Mann zu sein, um den sich niemand schert, und das Gewicht der Geschichte.

DAS GEWICHT DER GESCHICHTE! Ein gutes Motto für dieses Frühjahrsprogramm. Findet man Romane nicht wirklich genau dann gut, wenn man dieses Gewicht in ihnen entdecken kann – zugleich aber auch Haltungen, Perspektiven, Beschreibungsformen, die einem als Einzelnen zeigen, wie man damit umgehen kann!? Hier in dieser Beilage finden Sie Vorschläge für Bücher, die dieses Gewicht in ganz verschiedenen Bereichen aufspüren: in den schweren Zeichen der deutschen Vergangenheit ebenso wie in den Äußerungen eines Kindes, in einem Wiener Kaffeehaus, einer mecklenburgischen Garnisonsstadt, argentinischen Familienverhältnissen und und und …

Ja, die Historie. Hier sollte man Nietzsche folgen, der pedantisch darauf achtete, dass sie nicht das Lebendige untergrabe. Homogene Erzählungen, neue Mythenbildungen und vor allem nationale Beschränktheit – all das brauchen wir nicht. Vor allem nicht im sogenannten deutschen Jubiläumsjahr. Die empfohlenen Sachbücher öffnen in dieser Hinsicht die Perspektive: sie vermeiden, was 1989 betrifft, den Tunnelblick auf Deutschland oder suchen die sogenannte große Geschichte im Alltag der Menschen. Und: aktuell viel diskutiert, immer noch unklar, die Frage: Wie wurde man eigentlich Parteimitglied der NSDAP? Dazu gibt’s ein sehr erhellendes Buch. Und anderswo als hier: Aufständische in Frankreich, deren Geschichte in Kriminalisierungen verloren zu gehen droht, Begegnungen in Israel, die nicht nur von Krieg erzählen, das neue Russland, die „fröhliche Hölle“, subjektiv erzählt. Viel Spaß beim Lesen!

DIRK KNIPPHALS, TANIA MARTINI