Menscheln für die Troublemaker

Ein neuer Aufsatzband von Judith Butler eignet sich gut, um die Entwicklung der Philosophin von der Queer-Aktivistin zur Menschenrechtlerin nachzuvollziehen

VON CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Judith Butler, die große Theoretikerin des Zustandekommens von Gender, beschäftigt sich in jüngster Zeit zunehmend mit Fragen des allgemeinen Menschenrechts. Einen Eindruck davon konnte gewinnen, wer Gelegenheit hatte, Anfang Februar in Berlin dem Vortrag „Frames of War“ der Rhetorikprofessorin zu lauschen. Mehrere tausend Leute ließen sich dort von dem Philosophie-Superstar mit hohem Mitwippfaktor durch die Message verblüffen, es sei nicht zu rechtfertigen, anderen Gewalt anzutun.

Die Begründung war natürlich hoch komplex und aufgehängt an einer Vorstellung des Körpers als immer schon sozial – als Beispiel diente Butler der Gazakonflikt. Damit knüpfte sie dann allerdings doch wieder deutlich an ihre in „Gender Trouble“ (1990) und „Körper von Gewicht“ (1993) entwickelten Thesen zur performativen Herstellung geschlechtlicher Körperrealitäten an. Unter dem Titel „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“ liegt jetzt die deutsche Übersetzung von Butlers Aufsatzband „Undoing Gender“ vor, der sich sehr gut eignet, um die Evolution der Philosophin von der Queer-Aktivistin zur Menschenrechtlerin nachzuvollziehen.

Zugänglicher als in ihren früheren, an der Akademie längst kanonischen Werken lassen sich hier Butlers grundlegende Thesen noch einmal nachlesen. Eingebettet sind sie in Beiträge zu Homoehe und Verwandtschaftsverhältnissen jenseits des klassischen Familienmodells, zu medizinischen Diagnosen über fehlgeschlagene Geschlechtsentwicklung im Kindesalter oder in eine Kritik der lacanistischen Entwürfe des Inzestverbots. Dabei wechseln sich flott erzählte, auch mal autobiografische Anekdoten ab mit dem schwierigen Klein-Klein innerphilosophischer oder psycholanalytischer Diskurse.

Im Zuge dessen kann man verfolgen, wie Butler auf die von „Gender Trouble“ ausgelösten, teilweise harsch geführten Debatten über die Verflüssigung der Zweigeschlechtlichkeit reagiert, wie sie sich präzisiert, aber auch mal revidiert. Das Kapitel „Die Frage nach der sozialen Veränderung“ beispielsweise dürfte all jene in helle Aufregung versetzen, die Butler einst vorgeworfen haben, sie dethematisiere, indem sie Gender in den Fokus stelle, soziale Ungleichheit oder geschlechtliche Arbeitsteilung, wenn nicht Emanzipation überhaupt.

Doch genau in diesem Teil des Buchs wird am deutlichsten, wie sich das politische Projekt der Philosophin von der Veränderung starrer Geschlechternormen qua lustiger Maskeraden auf den Straßen in Richtung der Durchsetzung nicht normierender Normen, also solcher der Offenheit und der Toleranz, verschoben hat.

Dazu privilegiert Butler zunächst Theorie, die „selbst verändernd wirkt“, gegenüber Aktionen und anderen Einmischungen auf gesellschaftlicher Ebene. Die einst von ihr favorisierten Travestiedarstellungen allein genügen nämlich nicht, stellt sie nun fest, um die entregelten Körper vor gewalttätigen Übergriffen zu bewahren. In die Bresche springen soll „der Feminismus“, verstanden als Theorie und Politikberatung: „Dass er danach fragt, wie wir das Leben organisieren, wie wir ihm Wert geben und wie wir es gegen Gewalt schützen, wie wir die Welt und ihre Institutionen dazu bringen, neue Werte zu leben, bedeutet, dass seine philosophischen Zielsetzungen in gewissem Sinne mit dem Ziel sozialer Veränderung zur Deckung kommen.“

Dass Butler Gewalt in den letzten Jahren stärker ins Zentrum ihrer Überlegungen gestellt hat, ließe sich als Reaktion auf kritische Stimmen lesen, die ihr in den 90ern vorwarfen, bei der Feier des lustigen Spiels der Signifikate im Geschlechterkampf Gewaltverhältnisse aus dem Blick zu verlieren. Doch ihr Gewaltbegriff unterscheidet sich grundsätzlich von dem ihrer Kritikerinnen.

Butler erklärt Gewalt aus den Individuen heraus, wahlweise als Homophobie, die in den Zurichtungen der kindlichen Begehrensstruktur wurzelt, oder als mangelndes Bewusstsein von der Notwendigkeit gegenseitiger Anerkennung, wie Hegel sie entworfen hat. Wie soziale oder ökonomische Verhältnisse Gewalt hervorbringen, interessiert dabei nicht.

Es ist dieser Gewaltbegriff, gepaart mit der ethischen Setzung, jeder, der betrauert werden könne, sei des Schutzes wert, der Butler quasi automatisch zur Erörterung universeller Menschenrechtsfragen treibt. Denn so wie sich der Kampf gegen Gewalt gegen Schwule, Lesben und andere Gender-Troublemaker nur auf dem Feld der Normen entscheiden soll, indem man, wie Butler vorschlägt, eine Vorstellung des Menschlichen etabliert, die alle möglichen Erscheinungsformen zulässt, müsste sich auch die staatliche Gewalt Israels gegen Palästinenser eindämmen lassen, indem man internationale Standards des Umgangs miteinander durchsetzt. Wie die Dinge stehen, sind als Adressaten einer solchen Politik niemand anders als die USA oder die Vereinten Nationen vorstellbar.

Fotohinweis:Judith Butler: „Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen“. Aus dem Englischen von Karin Wördemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2009, 300 Seiten, 24,80 Euro