Im übertragenen Sinne nackt

ICHERZÄHLERIN Echt mal etwas anderes als das, was sonst unter dem Stichwort Frauenliteratur vermarktet wird: 99 sehr lakonische Geschichten der Debütantin Heike Melba Fendel

VON SILKE BURMESTER

Die Pest der letzten Jahre kam unter der Bezeichnung „Frauenliteratur“ daher. Autorinnen wie Ildiko von Kürthy und Amelie Fried haben es mittels ihrer Erfolgsromane bestens verstanden, Frauen als intelligent, aber blöd darzustellen. Sie als Wesen zu zeigen, die auch im Jahr 2000 plus nichts so sehr wollen wie einen Mann, sich dies im Gegensatz zu ihren Müttern aber nicht eingestehen. Heike Melba Fendel stellt ihre Protagonistin nicht als dumm dar, um Effekte zu erhaschen und Geschlechtsgenossinnen auf ihre Seite zu ziehen. Und trotzdem hat sie ein Buch geschrieben, das mehr „Frau“ ist, als das meiste, das die Verlage unter dem Stichwort „Frau“ zu vermarkten versuchen.

„nur die“ heißt das Debüt der Kölnerin, die viele als Inhaberin einer Künstleragentur kennen. „Ein Leben in 99 Geschichten“ ist der Untertitel des Buchs und was sich anhört wie eine unterhaltsame Plauderei, ist eine Sammlung extrem knapper, mitunter verstörender Erzählungen, denen es gelingt, weibliche Entwicklung als das zu zeigen, was sie ist: ein brachialer Prozess, in dem Frauen Dinge tun, die ihnen nicht immer guttun. Nicht, weil sie es müssten, sondern weil dahinter die Möglichkeit eines Irgendetwas steht. Eines Abenteuers, einer Liebe, einer Erfahrung, einer bequemen Art, von A nach B zu kommen.

Fendel schildert das Geschlagenwerden durch den Geliebten ebenso wie Begegnungen mit Verkäuferinnen. Sich vor Männern gegen Geld auszuziehen gehört genauso zum Kosmos der Icherzählerin wie demjenigen hinterherzureisen, von dem sie meint, zwischen ihnen müsse etwas gehen. Im übertragenen Sinne nackt sind in diesen Geschichten irgendwann alle. Schonung gibt es nicht. Wer sich für sein Verhalten schämt, hätte sich halt anders verhalten müssen.

Heike Melba Fendel bestreitet, ein autobiografisches Buch geschrieben zu haben, vielmehr habe sie zusammengetragen und verdichtet. Doch deutlich sind die biografischen Überlappungen von Icherzählerin und Autorin: das Leben zwischen Köln und Berlin, eine Jugend im Restdunst Adenauers, der ausgedachte Zweitname „Melba“, das Nackttanzen in New York, die Tochter.

Was sie schreibt, ist manchmal charmant, aber nie lustig. Was sie erzählt, sind die Irrungen und oft auch die strahlenden Momente von Begegnungen. Die Worte, die sie dafür findet, sind die notwendigen. Keines zu viel. Und so ist es der lakonische Stil, die Reduktion, die dem Erzählten die Kraft gibt, während der sprachliche Schliff, die Suche nach Perfektion wie das Bemühen anmutet, dem Vergangenen wenigstens in der Gegenwart eine Form zu geben.

„Sie schreiben ja nur über Sex“, hat Volker Panzer in seiner Fernsehsendung zu Fendel gesagt und damit einmal mehr bewiesen, dass Männer Wunsch und Wirklichkeit nicht gut auseinanderhalten können. Tatsächlich schreibt sie viel darüber, wie für Frauen das Leben in einer Gesellschaft ist, in der Männer Frauen nicht verstehen. Doch anders als Karen Duve dies in ihrem großartigen Erzählband „Keine Ahnung“ tat, in dem sie gleichfalls lakonisch schilderte, was Frauen an Demütigungen aushalten müssen, entzieht sich Fendel der Opferrolle. Brechend mit der Haltung der Emanzipationsbewegung begreift sie sich als Teil des Spiels. Wenn die Icherzählerin nackt in einer Kneipe tanzt, wenn sie Teil ehelicher Lügenkonstrukte wird, wenn ihre Selbstachtung sich in den Laken verliert, weiß sie, dass sie es ist, die das Geschehen zulässt. Besser kommen die Männer trotzdem nicht weg.

Heike Melba Fendel: „nur die“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, 180 Seiten, 14,99 Euro