KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Schwule Mädchen

Mit einer Geschlechtsangleichung ändert sich auch die sexuelle Orientierung – in den Augen der Umwelt

Anno 2001 lief das Lied „Schwule Mädchen“ in den Radios. Da war ich gerade fünfzehn und hatte mich das erste Mal in einen Jungen verliebt. Ich denke an diese Zeit, an meine schwule Phase, mit einer unterschwelligen Melancholie zurück. Es war eine Zeit, an deren Anfang meine erste Liebe stand, gefolgt von der Suche nach Gleichgesinnten im Internet, zuerst auf der Webseite des Vereins „Du bist nicht allein“, dann bei dem Internet-Kontaktportal Gayromeo, schließlich beim Besuch einer Jugendgruppe im Magnus-Hirschfeld-Centrum in Hamburg und später auch auf Partys wie der Gayfactory oder auf dem Christopher Street Day.

Wo andere ihre ersten Erfahrungen machten, blieb es bei mir jedoch bei der Beobachtung. Oft fühlte ich mich von denjenigen, die ihre schwule Identität auslebten, merkwürdig entrückt. Ich ahnte, dass es da etwas anderes geben könnte, das mich besser beschrieb. Eine Frage drängte sich immer öfter und penetranter in mein Bewusstsein: Bin ich vielleicht transsexuell? Bin ich eigentlich eine Frau?

Ich fürchtete mich vor diesen Fragen. Einerseits wollte ich nicht in meiner Autonomie eingeschränkt werden durch die Abhängigkeit von Psycholog_innen, Ärzt_innen und Richter_innen, die sich mir in den Weg stellen könnten. Andererseits weil es bedeuten würde, von einer Minderheit zu einer noch kleineren Minderheit zu wechseln. All die Gemeinschaft unter Schwulen, das gegenseitige Bestärken und gemeinsame Feiern, das wollte ich nicht verlieren. Nicht schon wieder bei null anfangen.

Mit meiner Geschlechtsangleichung passte ich nicht länger ins Beuteschema schwuler Männer, mit ihr änderte sich meine sexuelle Orientierung für meine Umwelt von schwul auf hetero. Auf einmal musste ich mich fragen, auf was für Partys ich noch gehen konnte. Wusste ich doch von anderen Trans*Leuten, dass es zu Ausschlüssen kommen konnte. Einmal fragte mich ein schwuler Mann, warum ich noch auf den Christopher Street Day gehen würde, ich hätte da doch nichts mehr zu suchen.

Das sehe ich nicht so. Sexuelle Orientierung und Identität sind zwar zwei verschiedene Paar Schuhe, aber ich habe mich vor meiner Geschlechtsangleichung für Respekt und Offenheit eingesetzt und ich tue das auch jetzt noch. Viele meiner Freunde sind schwul oder lesbisch. Ich möchte mit ihnen weiterhin gemeinsam ausgehen, feiern und mich politisch engagieren. Und ich habe keine Lust auf eine Hetero-Beziehung voller geschlechtlicher Zwänge und Ungleichgewichte. Ich wünsche mir eine Beziehung auf Augenhöhe, wie sie von vielen Schwulen und Lesben gelebt wird.

Als ich vor zehn Jahren das erste Mal das Lied „Schwule Mädchen“ hörte, hätte ich mir nie träumen lassen, dass dieser Titel einmal meine Lebenserfahrung beschreiben könnte. Eben die eines Mädchens, das einmal schwul war und es ehrenhalber immer noch ist.

Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat