in der taz vor 11 jahren: orhan pamuk über schaupuppen für türken
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Als Bedii Usta nach zwanzig arbeitsreichen Jahren die ersten importierten Schaupuppen zu sehen bekam, meinte er, nun sei der Tag des Sieges gekommen, auf den er so lange gewartet hatte, und stürmte aus seinem Untergrundatelier hinaus auf die Straße. Doch mußte er auf diesem „Beyoglu“ genannten glanzvollen Einkaufs- und Vergnügungsboulevard eine neue Enttäuschung erleben, die ihn bis zu seinem Lebensende wieder in die Dunkelheit seines unterirdischen Daseins zurückstieß. Alle diese „Bonmarché“-Besitzer, alle diese Anzüge, Röcke, Kostüme, Strümpfe, Mäntel, Hüte verkaufenden Konfektionäre und Schaufensterdekorateure, die von Meister Bedii Muster zur Ansicht bekamen oder sein Atelier und seinen Vorratskeller aufsuchten, wiesen ihn einer nach dem anderen ab. Denn seine Kleiderpuppen und die von ihnen getragenen Modelle glichen nicht, wie man unterrichtet worden war, den Menschen in westlichen Ländern, sondern unseren eigenen Leuten. „Der Käufer“, sagte einer der Ladenbesitzer, „will keinen der Mäntel, die er tagtäglich auf der Straße von Zehntausenden seiner schnurrbärtigen, krummbeinigen, dunkelhäutigen und hageren Landsleute getragen sieht, sondern er möchte ein Jackett anziehen, das einer der neuen und ‚schönen‘, aus einem fernen und fremden Land kommenden Menschen trägt, damit er glauben kann, er habe mit diesem Jackett auch sich selbst geändert …“ Ein Dekorateur erklärte, daß er leider um des Broterwerbs willen diese „wahren Türken, diese wahren Mitbürger“ nicht in die Schaufenster stellen könne, denn die Türken wollten nicht mehr Türken, sondern etwas anderes sein. Aus diesem Grund hätten sie die Kleidung revolutioniert, die Bärte abrasiert, die Sprache und die Schriftzeichen geändert. Ein anderer Geschäftsmann, der es noch prägnanter auszudrücken liebte, war der Ansicht, daß die Kunden keine Kleidung, sondern eigentlich ein Traumbild erwarben.

Orhan Pamuk, taz v. 30. 5. 1995