Kommentar: Ehrenwerte Parallelgesellschaft

Die Mafia wäre mit einer großen gesellschaftlichen und politischen Offensive zu besiegen. Das kann nur in Italien selbst gelingen.

Glaubt man den italienischen Behörden, dann war es ein aus dem Ruder gelaufener Karnevalsscherz, der letztlich zu den Morden von Duisburg geführt haben soll. Vor 16 Jahren seien im fernen San Luca ein paar Eier geflogen, seitdem herrsche Fehde zwischen zwei Mafiaclans. Diese Darstellung ist ihrerseits bloß ein schlechter Scherz, der so tut, als hätten wir es mit archaischer Gewalt von Leuten zu tun, die bloß an uralten Ehrbegriffen kleben.

Italiens Polizei und auch die Politik wissen es besser: Die kalabresische Ndrangheta, die Cosa Nostra in Sizilien und die Camorra in Neapel sind hochmoderne Großunternehmen - allein die Ndrangheta soll pro Jahr 35 Milliarden Dollar umsetzen. Diese Großunternehmen agieren auch global. Ein Fall also für Interpol, für das BKA und die LKAs in Deutschland, so wie andere internationale Kartelle der organisierten Kriminalität auch?

Nicht ganz. Denn die italienischen Mafiaorganisationen sind mehr als "organisierte Kriminalität". Sie zeichnet aus, dass sie ihr Heimatterritorium lückenlos kontrollieren, dass sie auf Konsens und Zuarbeit tausender Menschen vor Ort rechnen können, und dass sie andere mit Druck und Terror gefügig machen. In der Provinz Reggio Calabria mit gut 500.000 Einwohnern sollen die Ndrangheta-Clans über mehr als 5.000 Mitglieder verfügen.

In ihrer Heimat sind die Mafiosi auch heute noch "Ehrenmänner", an denen kein Unternehmer und kaum ein Politiker vorbeikommt. Doch Italiens Politik verdrängt das Problem - und überlässt es allein Polizei und Justiz, ihren Windmühlenkampf gegen die Mafia zu führen.

Dabei wäre die Mafia nur mit einer großen gesellschaftlichen und politischen Offensive zu besiegen. Auch wenn sie schon lange auch im Ausland agiert - dieser Kampf kann nur in Italien selbst geführt werden. Andernorts exportiert die Mafia zwar auch ihre Loyalitäts- und Gehorsamsstrukturen, die verbreitete Schutzgelderpressung in deutschen Pizzerien lehrt es. Doch ihre Strukturen wurzeln immer noch in Palermo und San Luca, nicht in Ludwigshafen und Duisburg. Den deutschen Fahndern bleibt nichts anderes übrig, als das Phänomen mit polizeilichen Mitteln einzuhegen. Die italienischen Behörden reichen zwar gerne mal ein paar Fahndungstipps an ihre deutschen Kollegen weiter. Aber wenn Italien die Mafia wirklich loswerden will, muss es sie aktiv bekämpfen.

Der Wille scheint nicht sehr ausgeprägt: In Sizilien jedenfalls regiert ungestört ein Regionalgouverneur, der zugleich in Palermo als Freund der Mafia vor Gericht steht. Anderswo wäre das ein Skandal. In Italien nicht. MICHAEL BRAUN

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.